Samstag, 28. November 2015

28. Kapitel



Ein lautes Geräusch riss mich aus dem Schlaf. Zuerst dachte ich es wäre nur ein lauter Schnarcher meiner Oma gewesen, oder dass ich gegen unseren Nackttisch gestoßen war und etwas auf den Boden befördert hatte. Als das Geräusch jedoch erneut erklang, wurde mir jedoch klar, dass es vom Fenster kam.
Was zum Teufel…?
Meine nackten Füße waren kalt sobald sie den Boden berührten. Dass ich nur meinen Schlafanzug trug, half auch nicht gerade. Meine Oma schien nichts gehört zu haben, denn sie schnarchte weiter vor sich hin.
Wieder klopfte es an meinem Fenster. Wir waren hier im ersten Stock. Es war… ich sah auf die Uhr und stöhnte. Es war drei Uhr morgens. Ich war müde. Ich wollte schlafen. Falls das Blue war, der nur noch mit einer Hand an meinem Fenstersims hing und mir irgendeine Liebesballade vortragen wollte, würde ich kein Problem damit haben ihn nach unten stürzen zu lassen.
Beim nächsten Klopfen wäre ich beinahe ausgerastet und hätte meine Oma geweckt. Stattdessen stieß ich das Fenster auf und sah nach draußen. Es war tatsächlich Blue, auch wenn er nicht an meinem Fenstersims hing. Stattdessen stand er auf der kleinen Rasenfläche unter meinem Fenster und warf Steinchen gegen die Scheibe. Ich glaube er hatte zu viele Filme gesehen. Glücklicherweise sah er früh genug, dass ich endlich reagiert hatte und so wurde es mir erspart einen Stein ins Gesicht zu bekommen.
„Blue! Was zum Teufel tust du hier?“, zischte ich.
Ich versuchte immer noch meine Oma nicht aufzuwecken. Gleichzeitig wollte ich ihn loswerden und da ignorieren vermutlich nur mit größeren Steinen enden würde, ließ ich das lieber bleiben. Nachher machte er noch die Scheibe kaputt.
„Hallo“, sagte Blue und versuchte lässig und aufgeregt zu wirken. Vielleicht wollte er gleichzeitig cool erscheinen, aber mir den Eindruck geben, dass das hier eine große Überwindung für ihn war.
Vielleicht war es das. Vielleicht auch nicht. Wenn ich bedachte mit wievielen Mädchen er schon geflirtet hatte, vermutete ich eher, dass es auf Letzteres hinauslief.
„Geh wieder ins Bett, Blue. Es ist drei Uhr morgens. Ich will schlafen. Morgen werden wir weiter nach der Einziege suchen und es wird vermutlich ein anstrengender Tag.“
Ich war im Begriff das Fenster zu schließen, doch er rührte sich nicht von der Stelle.
„Verstehst du das nicht? Das ist alles nur wegen des bescheuerten Liebestrankes. Was du fühlst ist künstlich. Keine richtige Liebe. Keine richtige Lust. Alles nur Liebestrank. Geh ins Bett.“
"Das darfst du nicht sagen! Es ist eine Ehre, keine Lust!", rief er zu mir hinauf.
Wie schade, dass er im Dunkeln nicht sehen konnte wie ich die Augen verdrehte. Allein der Satz war genug, um dafür zu sorgen, dass ich am liebsten meinen Kopf gegen die Fensterbank gehauen hätte, nur um ihn für immer aus meinem Gedächtnis zu streichen.
„Hör mal…“
Meinen Satz brachte ich nicht zu Ende, denn Blue zog einen Rocksack hervor. Oh je. Ich ahnte Schreckliches.
 „Ich bin den ganzen Tag in Romantika herumgelaufen und habe nach dem perfekten Instrument gesucht, um dich zu beeindrucken. Es hat einer versucht mir einen Rocksack anzudrehen. Ich wusste nicht, ob du Rock magst, aber ich habe ihn trotzdem mitgenommen…“
„Meinst du wirklich nach der Sache mit dem Magier, der mich mit der Stimme meiner eigenen Oma angegriffen hat, bin ich besonders scharf auf Musik?“
„Warum nicht? Wir sind immerhin in Romantika! Die Stadt der Liebe und der Musik!“
Jap. Er stand definitiv noch unter dem Einfluss des Tranks. Normalerweise würde Blue das Wort Liebe vermutlich nur mit eine Zange anfassen.
„Wir sind zwar in Romantika, aber es ist auch mitten in der Nacht. Es gibt Leute, die schlafen wollen.“
Ja, ich zum Beispiel. Und meine Oma. Und so ziemlich jedes andere Lebewesen, das sich in dieser Straße befand.
Blue ließ sich jedoch nicht beirren, sondern zog eine Gitarre aus dem Rocksack. „Die ist an einem Gitarrenriff gewachsen“, erklärte er mir. „Die sind sehr seltsam.“
Konnte der etwa Gitarre spielen? Ich hatte damit gerechnet, dass er vielleicht einen Song auf seinem Handy abspielen würde. Langsam wurde ich wirklich nervös. Außerdem bekam ich das Bild von Gitarren, die unter Wasser an einem Riff korallenartig vor sich hin wucherten, während sie von Fischen umschwommen wurden, nicht mehr aus dem Kopf.
Die ersten Akkorde waren noch recht leise, doch Blue schien immer mehr Gefallen an seinem Ständchen zu finden und wurde lauter und lauter. In einem Nachbarhaus ging in der zweiten Etage ein Licht an.
„Blue“, zischte ich wieder. „Du wirst Ärger bekommen!“
So sehr er mir auch auf den Geist ging, dass er von den Liebwächtern wegen Ruhestörung abgeführt wurde, wollte ich auch nicht. Wir brauchten ihn, um die Verwandtschaf von Freundschaf zu finden. Außerdem würde er sich in spätestens drei Tagen ziemlich über sein Verhalten ärgern.
„Eher nicht so deins? Dann vielleicht das hier.“
Statt endlich aufzuhören, stimmte er „Sag mir quando, sag mir wann“ an und begann auch noch dazu zu singen. Ich musste zugeben, dass sein Gitarrenspiel nicht schlecht war, aber seine Singerei war einfach nur grauenhaft. In einem weiteren Haus wurde das Licht angeschaltet und irgendjemand brüllte aus einem Fenster „hör endlich auf mit dem Krach!“. Ich meinte einen Schatten im erleuchteten Fenster erkennen zu können, der wütend mit den Armen fuchtelte.
„Blue!“, schrie ich.
Das Schnarchen meiner Oma setzte aus und kurze Zeit später hörte ich wie sie aufstand und zum Fenster kam. Unter uns ließ sich Blue immer noch nicht von den mittlerweile vielen wütenden Menschen unterbrechen, sondern sang munter weiter.
„Mia, was ist denn hier los?“, fragte meine Oma.
Sie griff nach einer Strickjacke, die auf der Kommode des Zimmer lag, und hängte sie sich um die Schultern. In ihrem Nachthemd konnte ihr auch nicht gerade warm sein.
„Blue“, stöhnte ich nur.
Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Dann lehnte sie sich noch weiter vor, als könnte sie nicht ganz glauben, was sie sah. „Was genau macht er da?“
„Singen“, stöhnte ich. „Und er hört einfach nicht auf, egal was ich ihm sage.“
Blue stimmte unterdessen die nächste Strophe von „Sag mir Quando, sag mir wann“ an und die wütenden Stimmen der Nachbarn wurden immer lauter. Das bedeutete noch mehr Leute wachten auf, von dem ganzen Singen und Schreien… wir würden uns in dieser Nachbarschaft nie wieder sehen lassen können. Etwas bewegte sich am anderen Ende der Straße.
„Oh nein.“
Auch meine Oma seufzte. „Da hat wohl jemand den Polizeirotnuf getätigt – rot für Liebesalarm.“ Dann kamen solche Szenen in Romantika wohl häufiger vor.
Ein Polizeiauto bog in die Straße ein und hielt vor unserem Hotel. Ich erkannte die Uniformen der Liebwächter, die zielstrebig auf Blue zugingen. Der hörte trotzdem noch nicht auf zu spielen. Erst als ihm einer der Liebwächter die Gitarre aus der Hand nahm, sah er auf.
„Oh“, meinte auch er.
„Was ist mit dem los?“, rief er zu mir hoch.
Ganz richtig hatte er erkannt, dass dieses kleine Ständchen anscheinend mir galt. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.
„Er hat aus Versehen einen Liebestrank erwischt!“, rief meine Oma nach unten.
Die Liebwächter nickten wissen. Sie schienen nicht überrascht zu sein und ich fragte mich langsam, ob das wirklich zu ihrem Alltag gehörte.
„Liebeskrank also“, meinte sein Partner. „Wir nehmen ihn mit auf die Wache!“, rief er zu Oma und mir hinauf. „Da kommt er in eine Ausnüchterungszelle. Holt ihn morgen früh wieder ab.“
Ich sagte ihnen besser nicht, dass sie ihn für etwa drei Tage in eine Zelle packen müssten, wenn sie verhindern wollten, dass so etwas noch einmal vorkam. Ein Teil von mir war drauf und dran sie darum zu bitten. Dann erinnerte ich mich daran, dass er nichts für sein Benehmen konnte. Naja, vielleicht konnte er etwas dafür, dass er so ein Fresssack war, aber unter meinem Fenster singen würde er normalerweise nicht.
„Machen wir!“, erklärte meine Oma schon.
Die Nachbarn zogen sich grummelnd in ihre Häuser zurück, während Blue in da Polizeiauto verfrachtet wurde. Fast tat er mir leid – aber nur fast. Ich hatte nämlich immer noch „Sag mir quando, sag mir wann“ im Kopf und hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich diese Szene meinen Lebtag nicht vergessen würde.

1 Kommentar:

  1. Ach herrlich, ich musste die ganze Szene über so breit grinsen... nicht zuletzt wegen der Geschichte hinter diesem Kapitel.

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