Mittwoch, 25. November 2015

25. Kapitel



Blue, Hannes und Phoenix hatten während meiner Friseurprozedur den Rest des Tages geplant. Als wir zurückkamen, hatten sie bereits einen Schlachtplan aufgestellt. Zum Glück beinhaltete der, das wir uns alle gemeinsam auf den Weg machten.
„Wir haben uns die Aufschriebe von Archiblad noch einmal durchgelesen“, meinte Phoenix. „Dabei haben wir einen Absatz gefunden, in dem gesagt wird die Einziege würde Musik lieben.“
„Aber das hier ist Romantika! Hier gibt es Musik an jeder Ecke!“ Tatsächlich hatte ich gestern in den Parks mehr Musiker gesehen, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Die meisten hatten natürlich Liebeslieder gesungen.
„Es soll einen Magier geben, der Musik macht.“ Blue schob meiner Oma und mir einen Flyer über den Tisch. „Hier. Der wurde mir gestern in die Hand gedrückt.“
„Na dann nichts wie hin! Je früher wir aus dieser mit Herzen und rosa Blümchen verseuchten Gegend wieder rauskommen, desto besser“, grummelte ich.
Meine Oma sah mich nur verwundert an und ich beschloss erneut sie nicht auf den neusten Stand zu bringen. Meine Abneigung gegenüber Romantika hatte zu viel mit dem gestrigen Abend und meinen versengten Haaren zu tun.
Wir machten uns auf den Weg, ohne dass ich weiter über meinen plötzlichen Stimmungsumschwung befragt wurde. Meine Laune wurde auch nicht besser, als es sich schwieriger gestaltete den Magier zu finden als wir gedacht hatten. Nur wenige Leute hatten von ihm gehört und selbst Leute, die ihn kannten, schickten uns regelmäßig in die falsche Richtung. Dass wir letztendlich doch in der richtigen Seitenstraße landeten, war mehr der Tatsache geschuldet, dass das Anti-Katermittel von heute Morgen nicht mehr richtig zu wirken schien und mir speiübel wurde.
Die Übelkeit wurde zum Glück bald wieder kontrollierbar und ich starrte statt in einen Mülleimer auf das Schild, nach dem wir so verzweifelt gesucht hatten. Monsieur Magic war darauf zu lesen.
„Hey! Hier ist es!“
Die anderen, die netterweise Abstand gehalten hatten, folgten mir in die Gasse.
„Und ich dachte du musst dich bloß übergeben“, meinte Blue. „Gute Arbeit, Mia!“
Mit diesen Worten trat Blue vor, warf sich schwungvoll seine Robbe über die Schulter und ging voran. Ich würde ihn bestimmt nicht korrigieren. Stattdessen folgte ich ihm durch die Tür in einen dunklen Gang.
„Das gefällt mir irgendwie nicht“, murmelte Hannes, der dieses Mal auf der Schulter meiner Oma hockte.
Ich konnte ihn im diffusen Licht kaum ausmachen und auch meine Oma, Freundschaf und Phoenix folgten mir nur als dunkle Schatten. Das wurde nicht besser, als Phoenix die Tür hinter sich schloss.
„Hey, hier ist noch eine Tür!“ Blues Stimme kam von weiter vorne und ich hörte wie er eine weitere Tür aufstieß.
Licht fiel in den Gang und ich beeilte mich Blue zu folgen, um wieder etwas sehen zu können. Stattdessen lief ich in seinen Rücken.
Ich hörte nur wie er „Was zum Teufel…“ murmelte, dann war er plötzlich verschwunden. Im einen Moment hatte ich noch den Pelz seiner Robbe unter meinen Fingern gespürt, im nächsten war er fort. Durch die Tür drangen für einen Moment die ersten Akkorde eines Rocksongs, dann verstummten sie.
„Blue?“ Vorsichtig schob ich mich weiter nach vorne. „Oma, Phoenix, er ist einfach verschwunden“, zischte ich nach hinten.
Das hier war mehr als seltsam. Trotzdem schob ich mich weiter vor. Vielleicht war das hier eine Art magisches Portal und Blue wartete auf der anderen Seite. Wenn nicht… dann Gnade Gott demjenigen, der für sein Verschwinden verantwortlich war.
Mit einem großen Schritt trat ich durch den Türrahmen.
Der Raum sah recht normal aus, wie das Wohnzimmer einer Durchschnittsperson. In einem Sessel saß, mit dem Gesicht zu der Tür, aus der wir traten, ein Mann. Er war das einzige, was nicht zu diesem Raum zu passen schien. Die braunen Ledersofas, die Zimmerpflanzen, der Flachbildfernseher, die Bücherregale… und dann der Kerl in rotem Umhang und Zauberhut.
„Wo ist mein Freund geblieben?“, verlangte ich zu wissen.
Der Mann lächelte und hob entschuldigend die Hände – und ich warf mich zur Seite, um dem Ball aus reiner Magie auszuweichen, den er gerade auf mich geschleudert hatte. Das erklärte dann wohl Blues Verschwinden. Gnade ihm Gott.
Der Magier feuerte einen weiteren Zauber auf mich ab und begann zu lachen. „Welches Lied willst du sein? Dein Freund ist nur ein langweiliger Rocksong geworden. Vielleicht eine Ballade?“
Der Zauber traf eine Blumenvase, die sich in Nichts auflöste. Ein langsamer, traurig anmutender Walzer ertönte für einige Sekunden, bevor er verklang.
„Gegenstände machen sich nicht besonders gut als Lieder. Sie sind nicht besonders langlebig. Menschen hingegen…“
Ich schrie auf, als der Ball aus Magie meine Oma traf, die sich ebenfalls in ein Lied auflöste. Tränen traten mir in die Augen, als ich eine klare Frauenstimme hörte, die eine wunderschöne Ballade schmetterte. Von Hannes sah ich nur noch einen grünen Schenkel, der unter dem Sofa verschwand.
„Oooh, hübsch“, meinte auch der Magier.
Mehrfach spielte er das Lied, mal langsamer, mal schneller, mal rhythmischer, mal mafiosischer. Mafiosisch klang richtig. Der Typ war einfach nur böse. Er versuchte Phoenix ebenfalls zu treffen, doch sie duckte sich und suchte hinter einem der Ledersofas Schutz. Der nächste Versuch galt Freundschaf, doch das scherte sich nicht um den Zauber, der einfach an seinem Fell abprallte und stattdessen ein Buch im Bücherregal traf, woraufhin ein russischer Marsch erklang.
„Mäh“, machte Freundschaf und begann an einer Ecke des Ledersofas zu knabbern.
„Lass mein Sofa in Ruhe, du Mistvieh!“
Der Magier feuerte erneut eine Salve auf Freundschaf, das sich immer noch komplett unbeeindruckt davon zeigte. Vielleicht würde ihn Freundschaf lange genug ablenken, damit ich an ihn herankommen konnte. Was genau ich dann tun würde wusste ich nicht, aber das hier schrie geradezu nach einem aus dem Ärmel geschüttelten Plan.
Das Lied meiner Oma, das erneut erklang, trieb mir die Tränen in die Augen. Zuerst dachte ich der Magier hätte es heraufbeschworen, um mich zu verunsichern. Dann jedoch wirkte er einen weiteren Zauber. Seine klare Stimme machte aus dem Zauber ein Leid.
In der plötzlich entstandenen Stimme schwang immer noch ein Hauch meiner Oma mit, doch ansonsten hatte der Kampfzauber nicht mehr viel mit ihr gemein. Der Magier schleuderte die Stimme auf Freundschaf, von dem sie abprallte.
„Was um Hummels Willen ist in Sie gefahren?“, schrie ich dem Magier zu und musste im nächsten Moment eine ein Meter hohe Stimme abwehren.
Das Lied meiner Oma hatte Gestalt angenommen und kam als wabernde Wand auf mich zugeschossen. Meine Feder begann zu leuchten, doch ich nutzte meine Kraft lieber, um die Feder davon abzuhalten einen Zauber zum Blocken zu wirken. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich dadurch den Rest meiner Lebenskraft verlieren. Das konnte nicht mehr viel sein. Lieber überließ ich es Phoenix und Freundschaf mit dem Kerl fertigzuwerden.
„STOPP!“
Die Wand kam in dem Moment zum Stehen, in dem sie mich erreicht hatte. Ich versank in nachdenklicher Stimme. So fühlte es sich zumindest an. Der aggressive Teil, den der Magier in das Lied meiner Oma gezaubert hatte, war verschwunden und es umwaberte mich nur noch als wüsste es nicht richtig was es als nächstes tun sollte.
„Was zum… Greif schon an!“, schrie der Magier. „Ich brauche mehr Lieder für meine Show! Ohne neue Leute bin ich absolut ruiniert!“
„Deshalb also.“
Die fremde Stimme kam von weiter hinten, wo ich jetzt eine Tür entdeckte, die zum Rest des Hauses führen musste. Eine Frau in Uniform stand dort und hielt ein seltsam aussehendes Paar Kopfhörer in der Hand.
Ein Blick auf den Magier zeigte mir, dass er so weiß wie ein Laken geworden war. Der Ball aus Magie, den er immer noch in den Händen hielt, verpuffte.
„Monsieur Magic, hiermit sind Sie, im Namen aller Liebwächter, verhaftet. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Was Ihnen vielleicht zu einem geringeren Strafmaß verhelfen könnte wäre, wenn Sie sofort alle in Lieder verwandelten Leute von Ihrem Fluch befreien.“
Der Magier biss sich auf die Lippe und die Frau trat einen weiteren Schritt vor. „Verstärkung ist bereits unterwegs. Zwingen Sie mich nicht dazu meine Köpfhörer verwenden zu müssen.“
Stöhnend hob der Mann die Hände, woraufhin sich einige Boxen, die auf den Regalen verteilt waren, öffneten. Eine Kakophonie aus Liedern erklang, jedes anders. Zusammen hörte es sich einfach grauenvoll an.
Die Frau, die sich als Liebwächterin bezeichnet hatte, trat vor und legte dem Magier sofort Handschellen an, bevor die Lieder sich, eines nach dem anderen, in Menschen zurückverwandelten. Die Wand aus Stimme, die sich immer noch vor mir aufgetürmt hatte, zog sich zusammen und vor mir stand auf einmal meine Oma, mit Händchen auf der Schulter und Schirm am Arm. Als ich ihr um den Hals fiel, sah sie mich verwirrt an.
Auf der anderen Seite des Raumes erkannte ich einen blauen Haarschopf, der verdächtig nach Blue aussah. Allerdings befanden sich hier mittlerweile so viele Menschen, dass ein Durchkommen unmöglich war.
„Oma, was sind Köpfhörer?“, fragte ich.
„Das sind Waffen, die hauptsächlich von den Liebwächtern aus Romantika eingesetzt werden. Sie führen zu vorrübergehender Taubheit. In seltenen Fällen, meistens, wenn sich die Liebwächter in einer lebensbedrohlichen Situation verteidigen müssen, oder versuchen andere Menschen zu retten, können sie auch zum Köpfen von Leuten eingesetzt werden.“
Ich schauderte und warf der Frau einen beeindruckten Blick zu. Sie und der Magier waren die einzigen Personen, die ich in dem Chaos, zu dem das Wohnzimmer mutiert war, ohne Schwierigkeiten entdecken konnte. Alle Menschen machten ihr und ihrem Gefangenen ehrfürchtig Platz.
Kurze Zeit später kam die versprochene Verstärkung. Eine Gruppe Liebwächter und Boyguards stürzten in den Raum. Nachdem sie sich versichert hatten, dass die Gefahr gebannt war, halfen sie dabei alle Leute zu evakuieren. Draußen auf der Straße wurden die Namen aufgenommen und dann die Menschen nach Hause geschickt, oder ihnen psychologische Betreuung angeboten, je nachdem wie lange sie als Lieder verbracht hatten und wie sehr sie davon mitgenommen zu sein schienen.
„Brauchen Sie psychologische Betreuung?“, fragte auch mich ein Polizist, nachdem er sich meine Personalien notiert hatte.
„Nicht wirklich. Ich war kein Lied. Und mir sind schon einige Sachen passiert, die wesentlich verrückter waren als das hier.“
So ganz schien er mir das nicht abzunehmen, doch da hinter mir noch ein Dutzend andere Leute warteten, ließ er mich passieren. Freundschaf war in der Menge von Leuten dank seines weißen Felles auch gut zu erkennen. Blue stand direkt daneben und ich überraschte ihn damit, dass ich auch ihm um den Hals fiel.
„Als Mensch bist du mir definitiv lieber. Obwohl die ersten Takte deines Rocksongs nicht schlecht klangen“, meinte ich nur.
Die Liebwächterin, die mich vor der Stimme gerettet hatte, kam zu uns sobald sich unsere Gruppe versammelt hatte.
„Würdet ihr vielleicht eine Aussage gegen ihn machen?“ Sie deutete auf den Magier, der gerade in ein Auto verfrachtet wurde. „Die meisten anderen Zeugen sind noch ein wenig durcheinander, nachdem sie bis zu zwei Jahre lang Lieder gewesen sind.“
Zwei Jahre? Kein Wunder, dass einige von denen psychologische Betreuung brauchten.
„Kein Problem“, sagte ich sofort. „Alles, um dem Kerl das Handwerk zu legen. Ich will nicht, dass der jemals wieder Leute in irgendwas verwandelt.“
Die anderen schienen das ähnlich zu sehen. Sogar Freundschaf ließ ein zustimmendes „Mäh!“ hören, auch wenn ich bezweifelte, dass seine Aussage von großem Wert sein würde. Was mich wieder einmal überraschte war wie fluchsicher unser Schaf war.
Die Augen der Liebwächterin leuchteten schief. „Gut. Ich nämlich auch nicht“, sagte sie mit einem verschmitzten Grinsen und funkenden Augen.
Funkende Augen? Tatsächlich schienen ihre Augen Signale in Morse-Code zu versenden. Ihr Lächeln wurde noch breiter als sie meinen verwirrten Blick sah.
„Ihr seid nicht die einzigen, die sich mit einem Fluch herumschlagen mussten. Aber meiner stört mich immerhin nicht besonders. Manchmal ist es ganz praktisch seinen Kollegen bei Bedarf eine Nachricht zufunken zu können.“
Sie zwinkerte und verschwand in der Menge, vermutlich, um noch mehr Leute zu fragen, ob sie gegen den Magier aussagen würden.
„Das war ja mal ein Reinfall“, fasste Blue unser eben erlebtes Abenteuer zusammen.
Allerdings. Nicht nur, dass wir uns beinahe alle für immer in Lieder verwandelt hätten – obwohl ich ein wenig neugierig war, was ich, Phoenix und Hannes für Lieder geworden wären – wir hatten nicht einmal die Einziege gefunden. Alles war umsonst gewesen.

1 Kommentar:

  1. *Lukarius schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und entschuldigt sich tausendfach für seinen Verschreiber* Tut mir leid das du deswegen so einen Ärger hattest... aber du hast es echt super gelöst!

    Und kleiner Verschreiber zu Beginn...Als wie zurückkamen

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