Dienstag, 24. November 2015

24. Kapitel



Am nächsten Morgen wusste ich nicht, ob ich lieber den Wecker, oder mich selbst erschießen sollte. Als mich die ersten Gedanken an gestern Abend einholten, wollte ich mich am liebsten für Option zwei entscheiden. Das war vielleicht besser, als weiterhin mit meiner Lebenskraft herumzuwerfen, als wäre es Konfetti. Wenn ich so weitermachte, würde ich die nächste Woche nicht mehr erleben.
Als ich aus dem Bett steigen wollte, verfing ich mich in meinem Bogen, den ich mir gestern auf den Nackttisch neben dem Bett gelegt hatte. Das hatte sich irgendwie sicherer angefühlt.
Noch im Halbschlaf, tappte ich durchs Zimmer und zog mir ein paar meiner neuen Klamotten an. Die von gestern Abend rochen alle nach Rauch. Außerdem wollte ich die gerade nicht sehen.
…Moment. Wo hatte ich meinen Bogen gerade heruntergestoßen?
Auf einen Schlag war ich etwas wacher und sah mir den Tisch genauer an. Jap, definitiv ein Nackttisch. So etwas hatte ich gesehen, als meine Oma in Schreibstadt einen Zeichenkurs gemacht und mich mitgeschleppt hatte. Ein Nackttisch war ein Tischchen, auf das sich Aktmodels setzen, wenn sie gezeichnet wurden.
„Aaaah! Wo kommt der Tisch her?“ Mir war ein wenig übel und ich stütze mich an meiner Bettkante ab.
Nachdem wir die Party verlassen hatten, wurde meine Erinnerung ein wenig löchrig. Ich erinnerte mich gerade so daran wie wir nach Hause gekommen waren und wie ich meinen Bogen auf den Nachttisch gelegt hatte – oder war es da schon ein Nackttisch gewesen? Oder wurden die Dinger erst dazu, wenn…
Nicht darüber nachdenken. Blue und Hannes wussten vielleicht wie das Teil in mein Zimmer gekommen war. Wobei… Hannes vielleicht nicht. Der war noch schlimmer dran gewesen als ich. Der Kerl hatte ihn ziemlich hart erwischt; das musste mindestens ein Schädel-Hirn-Träume sein. Blue hatte versprochen ihn den Großteil der Nacht wach zu halten, nur um sicherzugehen. Mich hatte er ins Bett geschickt. Oder war ich doch nochmal rausgekommen, um ihm danke zu sagen?
„Gah…“ Denken machte mir Kopfschmerzen. Und Kopfschmerzen sorgten dafür, dass mir auch der ganze Rest meines Körpers wehtat.
Letztendlich beschloss ich, dass es auch nichts bringen würde sich den ganzen Tag in meinem Zimmer zu verschanzen. Immerhin mussten wir eine Einziege finden. Meine Oma war anscheinend schon aufgestanden, denn ihr Bett war leer (es war ein Wunder, dass sie meine Rückkehr gestern Nacht scheinbar nicht mitbekommen hatte), also schnappte ich mir meine Robbe und verließ mein Zimmer, um mich auf den Weg zum Frühstückszimmer zu machen. Auf dem Flur vor meinem Zimmer trat ich auf Blue.
„Au!“ Er fuhr aus dem Schlaf und begann sofort mit seinem Schwert herumzufuchteln. Ich konnte mich gerade noch in Sicherheit bringen.
„Woah! Vorsicht mit dem Ding. Das ist scharf.“
„Sorry.“ Er legte das Schwert zur Seite und rieb sich die Augen. „Aber du bist auf mich getreten.“
„Was liegst du auch im Flur rum! Da könnte jemand über dich stolpern und dann hätten wir gleich zwei Verletzte.“
 „Schon, aber… erstens musste ich Hannes wachhalten und zweitens hat es sich nicht richtig angefühlt dich alleine zu lassen, also haben wir beide beschlossen hier im Flur zu campen…“
Erst jetzt bemerkte ich das kleine, grüne Etwas, das sich auf einem Telefontisch zusammengerollt hatte.Hatten die zwei wirklich die ganze Nacht im Flur verbracht? Hatten alle anderen Gäste über sie drübersteigen müssen oder was?
„Morgen, Mia.“ Hannes blinzelte verschlafen mit seinen goldgefleckten Augen und rutschte auf der Tischplatte hin und her.
„Ihr wart die ganze Nacht wach? Vor meine Tür?“
„Ich hoffe das war in Ordnung. Ich meine… wenn man drüber nachdenkt ist es vielleicht ein bisschen gruselig… stalker-mäßig“, meinte Hannes.
„Nein, kein Problem. Danke dafür…“
Das war irgendwie süß von den beiden. Anscheinend war ich nicht die einzige, die mit einem flauen Gefühl im Magen ins Bett gegangen war (wobei, vielleicht hatte das auch am Alkohol gelegen. So ganz sicher war ich mir nicht). Allein der Gedanke daran, dass die zwei die ganze Nacht vor meiner Tür Wache gehalten hatten, ließ den Morgen ein wenig besser aussehen. Plötzlich war ich froh, dass ich weder den Wecker, noch mich erschossen hatte. Außerdem war das doch eine etwas endgültigere Lösung als mir lieb war.
„Ach ja, wisst ihr zufällig was der Nackttisch in meinem Zimmer macht?“
„Keine Ahnung, aber ich glaube die haben ein seltsames Möbelstück in jedem Zimmer. Wir haben einen Liebessessel“, meinte Blue gähnend.
Irgendwie beruhigte mich das etwas. „Sollen wir frühstücken gehen? Ihr zwei seht ja grauenvoll aus; etwas Essen dürfte zumindest dich aufmuntern, Blue.“
Meine Oma erwartete uns tatsächlich beim Frühstück, zusammen mit Phoenix.
„Na? Wie war die Party gestern – Mia, warum sind deine Haarspitzen angesengt?!“
Ups. Da war ich mit dem Blitz wohl etwas unvorsichtig gewesen. Immerhin schienen meine Augenbrauen jedoch nicht zu fehlen, sonst wäre der Kommentar vermutlich anders ausgefallen.
„Ich bin gestolpert und fast im Lagerfeuer gelandet“, erklärte ich.
Irgendwie wollte ich nicht, dass Oma und Phoenix von dem Desaster gestern erfuhren. Das war mir schon unangenehm genug, ohne dass ich entweder gescholten wurde, weil ich unvorsichtig gewesen war und betrunken geworden war, oder beide Mitleid mit mir hatten.
„So kannst du jedenfalls nicht vor die Tür gehen. Wir müssen zu einem Friseur.“ Meine Oma schob mir einen Teller hin, auf dem mehrere mit Nutella bestrichene Toastbrote lagen.
Mein Magen machte einen Satz, sobald mir der Geruch meines Lieblingsfrühstücks in die Nase stieg. Allerdings war das nicht vor Freude. Der Schock über den Nackttisch war verflogen und mein Hangover machte sich wieder bemerkbar.
„Ugh, lieber nicht. Ich fühle mich nicht so gut…“
Phoenix betrachtete mich wissend und nahm den Teller wieder weg. „Haben Sie vielleicht irgendetwas gegen Kater?“, fragte sie die Wirtin.
„Kein Problem“, meinte die lächelnd. „Die Blumen koche ich gern.“
Kurze Zeit später hatte ich ein seltsames Gebräu vor mir, das aus Blumen zu bestehen schien, während sich Blue über meine Toastbrote hermachte. Der war, was Alkohol anging, etwas abgehärteter als ich. Tatsächlich schien der Blumentrank zu helfen, denn das Schwindelgefühl und der Drang mir die Seele aus dem Leib zu kotzen legten sich allmählich.
Bevor wir jedoch weiter nach Einziege suchten, schleppte meine Oma mich tatsächlich zu einem Friseur. Es war ein bunt geschmückter Laden direkt neben einem Shop namens „Nagelland“. Zum Glück ignorierte Oma das Nagelland. Meine Nagelbetten hätten sonst für Horrorschreie ohnegleichen gesorgt. Ein wenig interessierte mich der Laden jedoch, als eine Frau herauskam, deren Zehen transparent lackiert waren. Sollte ich jemals unsichtbar werden wollen, war das ein guter Anlaufpunkt.
Die Ladenglocke des Friseurladens läutete, als wir eintraten. Als erstes fiel mir ein großes Banner direkt gegenüber der Tür ins Auge. Sind Sie zier- und antriebslos? Versuchen sie es mit einer neuen Frisur! Ganz überzeugt war ich noch nicht. Dabei half das Auftauchen des Friseurs auch nicht gerade. Gleich als er hereinkamm, war er mir unsympathisch.
„Oh je! Das ist ja ein absoluter Haar-Notfall!“, schrie er, als er meine Haare sah.
„Also so dramatisch finde ich das auch wieder nicht“, murmelte ich. „Schneiden Sie einfach die verkokelten Spitzen ab. Das reicht.“
„Nein, das reicht bestimmt nicht! Ihre Frisur – wenn man es denn so nennen kann – muss dringend generalüberholt werden! Ich hätte da ein paar Vorschläge…“, behaarte er.
Bei dem ging es wohl immer nur um Haare. Er zog ein dickes Buch hervor, in dem Fotos von verschiedenen Frisuren abgebildet waren. Eine war schrecklicher als die andere.
„Wie wäre es hiermit?“
Er deutete auf die erste Frisur, die aussah als hätte jemand versucht die gesamten Locken eines Pudels auf dem Kopf einer Frau aufzutürmen. Ich würde mein originales Haar bestimmt nicht so demonisieren.
„Nein? Dann vielleicht das hier.“
Das nächste Foto zeigte eine Frau mit Halbglatze und seltsam quer liegenden Haarsträngen, die sich über ihren Kopf zogen.
„Bestimmt nicht!“ Ich schloss das Buch und schob es resolut zur Seite. „Nur die Spitzen!“, befahl ich.
„Aber…“
„Nur die Spitzen“, stimmte meine Oma zu.
Der Mann schien in sich zusammenzusacken, doch glücklicherweise gab er auf. Mit zusammengepressten Lippen führte er mich zu einem Stuhl und bat mich Platz zu nehmen.
„Oma, pass ja auf was der mit meinen Haaren anstellt“, flüsterte ich ihr zu.
Sie packte ihren Regenschirm fester und nickte. Jetzt hoffte ich fast darauf, dass der Friseur doch etwas verpatzte, nur um zu sehen wie sie ihn ins Land der Träume schickte. Allerdings schien er sich an unsere Absprache zu halten. Mir wurden zuerst die Haare gewaschen und dann die schwarzen Spitzen abgeschnitten.
„Föhnrich! Bitte einmal föhnen“, befahl mein Friseur nun.
Ein Mann eilte herbei und begann meine Haare zu trocknen. Danach machte sich der Friseur noch einmal über meine, laut ihm nicht vorhandene, Frisur her und brachte meine Haare in Form.
Das Ergebnis war zwar, dass meine Haare deutlich kürzer waren als zuvor, doch sie waren zumindest nicht mehr verkokelt und ich sah auch nicht aus wie ein Pudel. Insgesamt konnte man das wohl als Erfolg betrachten.
Meine Oma dankte es dem Friseur mit einem großen Trinkgeld, das ihn offensichtlich gnädiger stimmte, denn er verabschiedete sich zwar mit einem „was für eine Schande…“, sah mich aber nicht mehr ganz so grimmig an.

3 Kommentare:

  1. Ein typischer Hangover... hätte sich bei dem im Zimmer verschanzen nicht der verschwanzen Verschreiber angeboten wo doch schon der Nacktisch da steht?

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    1. Den hatte ich da tatsächlich. Allerdings als echten Verschreiber. Aber das funktioniert glaube ich nur, wenn ich Mia einer Geschlechtsumwandlung unterziehe.

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    2. Haha, das find ich jetzt witzig XD Wär doch mal was, warum denn nicht <.< Du kannst ja die Geschlechtsumwandlung nur vorübergehend machen oder das Mia und Blue mal die Körper tauschen ^^

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