Montag, 23. November 2015

23. Kapitel



Als wir nach draußen kamen, hatte sich die Atmosphäre ein wenig gewandelt. Die meisten Leute waren nun im Vollrauch. So würde ich es jedenfalls nennen.  Wenn man zu viel getrunken hatte, hatte man einen Vollrausch. Da die Leute hier alle zu viel geraucht hatten, hatten sie definitiv einen Vollrauch.
Wir quetschten uns langsam in Richtung Dampffläche durch, um zu schauen, was dort eigentlich so getanzt wurde. Hannes hatte es sich auf meiner Schulter bequem gemacht.
„Darf ich um diesen Tanz bitten?“
Blue verbeugte sich so ungelenk, dass Hannes vor Lachen beinahe das Gleichgewicht verlor.
„Mach das nicht nochmal, oder der bekommt einen so starken Lachanfall, dass er auf dem Boden landet und von den tanzenden Leuten zertrampelt wird“, kicherte ich.
Tja, Passivrauchen war keine schöne Sache. Lange würde ich hier bestimmt nicht bleiben, obwohl es Spaß machte mit Blue zu tanzen. Vor allem, weil ein paar Mädchen, die an der Seite saßen, mir eifersüchtige Blicke zuwarfen. Wahrscheinlich waren das ein paar von denen, die Blue ihre Nummer gegeben hatten. Wenn die nur wüssten, dass hier drei Leute tanzten, drei Freunde. Nur konnten sie den Frosch nicht sehen.
Das Gebiet um den Hanf schien durchaus einträglich zu sein, denn hier schien recht viel davon im Umlauf zu sein. Das, was ich „die Rauschsäule“ taufte, wurde zu meinem neuen Orientierungspunkt. Die Ecke, wo die meisten pafften und kifften und qualmten, war rechts von der Tanzfläche und das war die Ecke, die ich unter allen Umständen meiden würde.
„Dem Könling zu drogen hat mein Vater stets mit zehn Jahre Kerker bestraft“, meinte Hannes plötzlich. „Der hat es nicht so mit Drogen. Wenn der wüsste wo ich gerade bin und dass seine schöne Erzierung den Bach runtergeht…“ Dann kicherte er überraschenderweise.
Ich musste zugeben, dass ich mit seinem Vater überein stimmte. Bei illegalem Drogenkonsum musste man hart durchgreifen. Hier in Romantika schien es jedoch normal zu sein. Was immer noch nicht bedeutete, dass ich mich direkt im Qualm aufhalten musste und Hannes dem ganzen Zeug ebenfalls aussetzte. Als Frosch schien er eine etwas niedrigere Schwelle zu haben. Das war damals beim Rum im Hexenhaus genauso gewesen.
Ich gab Blue ein Zeichen, dass ich eine Pause einlegen würde und er nickte mir zu. Die Mädchen an der Seite standen auf und ergriffen die Chance, die sich ihnen bot. Mir machte das nichts. Sollten sie doch. Morgen würde er sich wahrscheinlich an kein einziges von ihnen erinnern.
Vielleicht war meine Einschätzung von Blue doch nicht ganz korrekt gewesen. Einige Sachen, wie den NaNo, machte er entweder ganz oder gar nicht. Bei anderen Sachen hatte er Angst, sich komplett darauf einzulassen. Bei Beziehungen schien das der Fall zu sein. Also verkroch er sich lieber mit seinem Schwert in einem Übungsraum und übte bis ihm die Arme schwer wurden und er das Gefühl hatte einen Drachen ohne Probleme besiegen zu können.
Den Drachen konnte er vielleicht besiege, aber das gnädige Fräulein abzustauben könnte das eigentliche Problem darstellte.
Die Vorstellung führte dazu, dass ich schon wieder kichern wollte. Jap, zu meiner Überrauschung hatte ich definitiv zu viel von diesem Zeug abbekommen. Ich suchte mir die sauberste Ecke des Gartens, die ich finden konnte und lehnte mich gegen die Mauer. Hier konnte man die Sterne sehen, auch wenn wir uns in einer Stadt befanden. Das fand ich in Schreibstadt so schade. Das ganze künstliche Licht sorgte dafür, dass die Hälfte der Sterne gar nicht zu sehen waren. Auf dem Land war die Nacht schwarz und die Sterne waren zu Milliarden zu sehen.
Wahrscheinlich war das ein Teil dieser Region. Sterne waren immer schon etwas Romantisches gewesen. Vermutlich gehörte es in Romantika einfach dazu immer die Sterne sehen zu können. Vermutlich regnete es hier auch nur, wenn jemand eine Beziehung abbrach und weinend nach Hause lief.
„Hallo, Schönheit. Warum stehst du so weit abseits?“, fragte eine Stimme neben mir.
Ich drehte mich um und sah genau den Typ von Kerl, der mir gestohlen bleiben konnte. Der Typ von Kerl, der genau wusste wie attraktiv er war und die Arroganz aus jeder Pore verströmte. Nein, einfach nur nein.
„Sorry, keine Interesse.“
Ich sah zurück in den Sternenhimmel und hoffte, dass der Typ das als eindeutiges Signal nahm abzudampfen – im wahrsten Sinne des Wortes. Sollte er doch zurück in den Qualm gehen und sich zukiffen. Ich sah mir lieber mit dem leicht angekifften Hannes die Sterne an, die eigentlich nicht so schön aussehen dürften.
„Oh, du spielst die Unnahbare. Das ist echt heiß“, versuchte der Kerl es erneut.
Ugh. Er war nicht nur einer von den arroganten Typen, sondern auch noch einer von den strohdoofen. Warum mussten die immer ausgerechnet auf mich stehen? Vielleicht versuchten sie es aber auch bei allen weiblichen Personen, die nicht bei drei auf den Bäumen waren. Um das herauszufinden, müsste ich solche Exemplare allerdings über einen längeren Zeitraum beobachten und das lohnte die Mühe nicht. Dieses Exemplar hatte einen strengen Geruch und betrunke Augen – da hatte wohl jemand zu tief ins Gras geschaut.
„Ich spiele nicht nur die Unnahbare, ich bin die Unnahbare. Und jetzt verpiss dich. Zieh Leine. Geh wieder zu den anderen. Ich will alleine sein.“
Ich sah keinen Grund ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass es einen Frosch in meiner Jackentasche gab, der so einiges dagegen hätte, wenn der Typ auch nur versuchte eine Hand an mich zu legen. Nur konnte Hannes vermutlich nicht viel ausrichten.
„Ach komm, sei nicht so. Trink noch ein Bier und dann sieht die Welt ganz anders aus. Oder nimmt dir nen Joint. Das funktioniert auch.“
Das waren also die Lösungen für all seine Probleme. Wo der Kerl in 30 Jahren sein würde, wusste ich jetzt schon. Wo ich sein würde, wusste ich dank Feder auch schon. Ups.
„Geht das nicht in deinen dicken Schädel?“ Langsam ging mir der Kerl wirklich auf die Nerven. „Ich würde mich nicht einmal für dich interessieren wenn ich so dicht wäre wie du!“
Gut, das war zu viel für ihn. Vielleicht brauchte er ja so lange, um darüber nachzudenken was ich meinte, dass ich mich in der Zwischenzeit verkrümeln konnte.
„Das… das war nicht nett!“, bemerkte er endlich.
Ach so, auch schon verstanden. Na endlich. „Dann kannst du mich ja jetzt in Ruhe lassen.“
„Jetzt erst recht nicht!“, entschied der Kerl.
Und plötzlich hatte er seine Hände an meiner Hüfte und seinen Mund auf meinem. Mein erster Reflex war, ihm in die Eier zu treten, aber irgendwie hatte er es geschafft mich so gegen die Mauer zu drücken, dass ich mich kaum rühren konnte. Und dieses Arsch versuchte mir die Lippen mit seinem Bieratem abzuschlabbern.
„Lass sie los!“
Hannes quetschte sich aus meiner Robbentasche, die von dem Typ ganz schön zerdrückt wurde, und sprang dem Grabscher ins Gesicht. Der war kurz irritiert und hörte auf zu versuchen mich zu küssen. Leider schlug er Hannes zur Seite und hatte mich schon wieder eingeengt, bevor ich mich befreien konnte.
Panik und Wut vermischten sich. Angst um mich, Angst um Hannes, Wut auf mich, Wut auf den Bieratem-Kerl… es gab einen Blitz und der Typ wurde nach hinten geschleudert, als wäre er von unsichtbaren Marionettenfäden gezogen worden. Er traf die leere Pizza Tonne und landete mit dem Kopf voran in dem blauen Ding.
Einige Leute begannen zu kreischen und zwei Typen, die vermutlich die Kumpel von Betrunken-und-eklig waren, begannen ihm aus der Tonne zu helfen. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, was mich mit einem seltsamen Gefühl von Stolz erfühlte. Vielleicht würde er sich am nächsten Morgen wenigstens daran erinnern warum ihm die verpasst worden war. Vielleicht überlegte er dann bei der nächsten Party zweimal bevor er ein Mädchen küsste, das ihm mehrmals einen Korb gegeben hatte und das sich vielleicht, anders als ich, nicht wehren konnte.
„Du Schlampe! Was hast du dir nur dabei gedacht!“, fuhr mich der eine Typ an und kam drohend auf mich zu.
„Dein Kumpel hat mich angebaggert, ich habe deutlich nein gesagt und er hat trotzdem versucht mich zu begrabschen. Wenn du mich fragst, ist in einer Pizza Tonne zu landen das Mindeste, was er verdient.“
„Du…!“
Er holte aus, um mir eine zu klatschen und ich überlegte, ob ich ihn mit Magie blocken sollte. Es war mir schon zuwider gewesen Magie einsetzen zu müssen, um den Grabscher loszuwerden. Ich würde meine Lebenszeit nicht für solche Vollhirnis aufs Spiel setzen. In Gefahrsituationen, ja. So, nein. Also hob ich meinen Arm, um ihn abzuwehren, mir voll bewusst, dass ich trotzdem die Wucht des Schlages zu spüren bekommen würde.
Nur dass der Schlag nicht kam. Stattdessen flog der Typ ebenfalls Richtung Pizza Tonne, nur ohne Feuereffekte. 
Blue war vor mir aufgetaucht. Wer ihn nicht kannte, würde denken, dass er komplett entspannt war, doch ich konnte sehen, dass er wirklich stinksauer war. Das war die Pose, die er einnahm, bevor er irgendjemanden mit seinem Schwert verprügelte – oder ins Grab schickte. Momentan sah es aus, als würde er sich am liebsten für Letzteres entscheiden. Ich wusste nicht genau, ob ich mich darüber freuen sollte, dass er sein Schwert nicht dabei hatte. Vielleicht hatten die Kerle es verdient. Vielleicht auch nicht. Der Teil von mir, der immer noch den Bieratem auf der Zunge schmeckte, wollte am liebsten das ganze Gebäude niederbrennen.
„Dann glaubst du also, es ist lustig, was der Kerl hier versucht hat? Sich an einem Mädchen zu vergreifen? Nur gut, dass er die Falsche erwischt hat.“
Blue grinste mich an und bot mir eine Hand zum High Five. Ich war so überrascht, dass ich darauf einging und seltsamerweise schlich sich sogar ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Das verschwand sofort wieder, als ich Hannes auf dem Boden liegen sah. Sofort eilte ich zu ihm hin, doch er rührte sich bereits und blinzelte mich traurig an.
„Tut mir leid, dass ich keine Hilfe war…“
Er hörte sich so ermbarmungswürdig an, dass ich mich fühlte, als müsste ich ihn trösten. Allerdings fehlten mir die Worte und so nahm ich ihn nur auf die Hand, tätschelte seinen Kopf und setzte ihn behutsam zurück in meine Robbentasche.
„Uuuuuuuh…“, dröhnte es aus der Pizza Tonne. Da Betrunken-und-eklig immer noch mit dem Kopf in der Plastiktonne steckte, hörte es sich seltsam dumpf an. „Mein Kooooopf…“
Als er versucht herauszukrabbeln, stieß er mit seiner Stirn gegen die Außenwand und man hörte ihn laut fluchen. Mittlerweile war es auf der Party recht ruhig geworden. Die Musik lief noch, was die Abwesenheit von Gesprächen und Gelächter wesentlich prägnanter sein ließ. Alle hatten sich zu uns umgedreht und starrten entweder mich, oder den Kerl in der Tonne wütend an, weil wir ihre Fete unterbrochen hatte. Tja, selber Schuld. Wer so einen Idioten einlud, musste mit sowas rechnen.
Der nächste Versuch sich aus seinem Gefängnis zu befreien, war erfolgreicher und schwankend kam er auf die Beine. Wenn ich mich nicht irrte, sahen seine Klamotten leicht angeschmort aus und auch bei seinen Haaren würde er beim nächsten Friseurbesuch vermutlich die versengten Spitzen abschneiden lassen müssen. Von seinen Augenbrauen würde ich gar nicht erst anfangen. Die sahen so aus, als hätte man einen Opa mit Sehschwäche und einer Nagelschere darauf losgelassen.
„Wo ist diese Schlampe…?“ Er taumelte ein wenig und der Freund, dem Blue keine verpasst hatte, versuchte ihn zu stützen. „Der Hexe zeige ich‘s! Der…“
Blues Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden und ehe sich der Kerl versah, knallte er zurück auf die Pizza Tonne und blieb dieses Mal ohnmächtig liegen.
„Hat da irgendjemand ein Problem mit?“ Blue sah in die Runde.
Der Kerl, den er nach hinten gestoßen hatte, starrte ihn wütend an. Alle anderen sahen entweder betreten zu Boden, wichen seinem Blick auf andere Art und Weise aus, oder schauten von einer Person zur anderen, weil sie immer noch nicht begriffen hatten, was hier gerade geschehen war.
„Gut. Kommt, wir gehen.“
Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit Watte ausgestopft, entweder von dem ganzen Drogenrauch, oder weil ich unter Schock stand. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem. Unter den misstrauischen Blicken der anderen verließen wir das Gebäude und machten uns auf den Weg zurück ins Hotel.
„Tut mir leid, dass die Party so nach hinten losgegangen ist“, murmelte ich.
„Entschuldige dich bloß nicht, hörst du?“, fuhr er mich an. Sofort senkte er betreten den Blick. „Sorry. Es ist nur… du solltest dich nicht dafür entschuldigen, dass so ein ekliger Kerl dich angemacht hat. Alle anderen sollten sich bei dir entschuldigen. Tut mir leid, dass ich nicht früher da war, aber diese eine Schnepfe wollte mich einfach nicht loslassen… Tut mir leid.“
„Schon gut. Dafür hast du dem anderen Kerl ordentlich auf die Nase gegeben“, sagte ich.
„Und du dem Grabscher. Das war ein Blitz, kann ich dir sagen. Wenn ich nicht wüsste, dass du gerade schon wieder etwas von deiner Lebenskraft verloren hast, würde ich das ziemlich beeindruckend finden.“
„Erinner mich bloß nicht daran…“
Dass ich überhaupt Lebenskraft an so einen Volltrottel hatte verschwenden müssten, war fast das Schlimmste an der ganzen Sache. Aber vielleicht sah morgen ja die Welt ein wenig besser aus.

3 Kommentare:

  1. Nur zur Info: Die Hasch-Party war auch nicht ganz geplant...
    Das hier war übrigens das Kapitel, mit dem ich die 50k erreicht habe. :)

    AntwortenLöschen
  2. Dafür das es nicht geplant war und dich über die 50K gebracht hat war das Kapitel grandios... große Klasse muss ich gestehen.

    Zwei kleine Fehler...Blute verbeugte sich so ungelenk/Das ganzen künstliche Licht sorgte dafür

    AntwortenLöschen
  3. Eine Hasch-Party für die 50k. Das nenne ich eine nette Kombination :D

    Dieses Kapitel war witzig zu lesen und hat mir den Abend versüßt.

    AntwortenLöschen