Sonntag, 22. November 2015

21. Kapitel



Die Dorffete entpuppte sich als ziemlich großes Event. Auch die Leute aus den umliegenden Dörfern kamen herbei und machten bei den Spielen mit. Alle, die sich bei irgendeinem der Spiele eintragen wollten, brauchten Glücksspielchips, die sie sich aus Automaten zogen. Anscheinend spielten sie um Rinder, wenn ich das richtig verstanden hatte. Ob das wohl jemals glückliche Rinder gewesen waren? Ich hatte das Prinzip noch nicht ganz verstanden, aber ich fürchtete fast für die Rinder würde es als Braten auf dem Tisch enden.
Die Disziplin, bei der wir Laurence treffen würden, war das Schweinewerfen. Als Schweinebauer war das die eine Disziplin, wo er immer auftauchen würde, hatte uns der Bäcker erklärt. Deshalb standen wir bei den Schweinwerfern, die sich gerade darauf vorbereiteten gegeneinander anzutreten. Direkt nebenan konnte man gerade beobachten wie die Teilnehmer die Kühe Berührung übten – denn dort ging es ums Kuhwerfen. Die beiden Fraktionen kriegten sich wohl des öfteren in die Haare, weshalb ein extra Schiedsrichter abbestellt war, um ein Auge darauf zu haben, dass alles mit rechten Dingen zuging.
Ein anderer Wettkampf drehte ich um Waschkühe. Wie das funktionierte hatte ich auch noch nicht verstanden, aber man schien es als Team mit nicht sahnenden Kühen zu spielen – die waren, laut Dorfbevölkerung, zu nichts anderem mehr zu gebrauchen, sobald sie keine Sahne mehr gaben. Die Spieler hatten jeder einen Waschdienst. Einer übernahm die erste Wasche, einer die zweite Wasche.
Die härteste Disziplin war vermutlich die namens „Waschendes Unbehagen“. Generell schien es ähnlich abzulaufen wie die mit den Waschkühen, nur dass hier importierter „electric cattle“ benutzt wurde – Kühe, die regelmäßig Stromstöße abgaben. Wer am längsten durchhielt ohne ohnmächtig zu werden, hatte gewonnen. Die Leute hier hatten wirklich einen Knall.
Für die etwas tierlieberen und magiebegabteren unter den Teilnehmern gab es das Ergrünen. Ein Maier musste einen Raum zuerst einer Rodnung unterziehen und dann durch seine Magie ergrünen. Wenn eine Maierin zur Verfügung stand, konnten sich die beiden zur Begrünung sehr innig küssen und das wiederholen sobald die mit der Begrünung fertig waren. Nach dem Fest gab es hier jedenfalls sehr viele sehr grüne Räume, so viel war klar.
An allen Ecken und Enden wurde außerdem das Bioprodukt der Gegend verkauft – das Woebio! Anscheinend war es ein Bestseller, auch wenn ich mir nicht ganz erklären konnte wieso. Ich hatte ein kleines Stück davon probiert und hatte es gleich wieder ausspucken müssen.
Besonders Blue war begeistert von diesem Dorffest. Er sah sich jeden Wettkampf an und feuerte alle Leute an, deren Namen er sich merken konnte. Wie immer war er ganz oder gar nicht dabei. Hannes, der wieder in meiner Robbentasche unterwegs war, sah sich alles aufmerksam an, schien aber nicht sonderlich viel davon zu halten. Ich konnte mir vorstellen wieso. Er war als Prinz in einem Schloss aufgewachsen. All das hier musste für ihn so schrecklich ordinär und seltsam aussehen. Ich dachte mir – solange die Leute Spaß daran hatten (und keine Kühe und Schweine durch Werfen zu Schaden kamen, denn es wurden Holzkonstrukte benutzt, um die Tiere zu schonen), warum nicht einmal im Jahr so ein Fest veranstalten?
Laurence, der Schweinewirt, schnitt tatsächlich nicht schlecht ab. Von zweiunddreißig Bauern, die aus der Umgebung teilnahmen, belegte er Platz 4 und versprach, sich im nächsten Jahr zu bessern. Dementsprechend gute Laune hatte er auch, als der Bäcker ihn um den Gefallen bat die Gruppe Fremde, die gestern in ihrem Dorfteich notgelandet war, durch seinen Tunnel in die Comedy-Gegend wandern zu lassen.
Dann war es soweit. Während auf dem Fest noch Kühe geworden und Räume ergünt wurden, um damit Rinder zu gewinnen, wurden wir am einen Ende des Tunnels hineingelassen und angehalten die Tür am anderen Ende auf jeden Fall wieder zu schließen.
„Sie gehen am besten über die Hintertyp rein“, hatte man uns gesagt. Erklärt wurde das dadurch, dass die Tür tatsächlich menschenförmig war. Die Beschreibung „Hintertyp“ machte also auf seltsame Art und Weise Sinn.
Sobald die Tür ins Schloss fiel, befanden wir uns in absoluter Dunkelheit – zumindest bis Blue die Kerze anzündete, die wir vom Bäcker als Lichtquelle mitbekommen hatten.
„Wisst ihr, dass es sich hierbei um einen Tüpischen Kellergang handelt?“, meinte Blue, der mit der Kerze voranging, vermutlich um sich und uns die Zeit zu vertreiben.
„Tüpisch? Nich Typisch?“; hakte ich nach.
„Jap. Das hier ist ein Kellergang aus Tüp, jenem kleinen Dorf zwischen Hawara und Foidep.“
„Wo zum Teufel sind wir hier gelandet?“, wisperte ich entgeistert. „Von den Namen habe ich nie was gehört!“
„Das wundert mich gar nicht“, meinte Blue nur. „Vielleicht hättest du es gewusst, wenn du dich mit den Leuten so viel unterhalten hättest wie ich.“
„Wozu? Die sehen ich eh nie wieder.“ 
Obwohl der Bäcker wirklich nett gewesen war. Und die Leute auch. Man konnte es ihnen nicht übel nehmen, dass sie nicht begeistert darüber waren, dass wir aus dem Nichts in ihren Dorfteich gefallen waren. So etwas passierte nicht alle Tage. Und die Enten hatten sich vermutlich immer noch nicht von ihrem Schreck erholt.
Der Tunnel war länger als ich gedacht hatte. An einer Stelle kamen uns plötzlich von vorne einige kleine Kreaturen entgegengeflattert, die Phoenix als Fleddermäuse bezeichnete. Unser Licht hatte sie wohl aufgeschreckt. Ehrlich gesagt waren mir Fleddermäuse (die wohl recht zerfleddert aussahen, aber das konnte ich nicht beurteilen, da ich sie nur bei Kerzenlicht im Vorbeifliegen gesehen hatte) immer noch lieber als die Gedankenspinnen.
Die Spinne hatte natürlich überlebt und meine Oma hatte sie sofort gestern Abend benutzt, um mit Mr. Ian Woon in Kontakt zu treten und ihn über unsere Situation aufzuklären. Sobald wir in dem Hotel untergekommen waren, in dem er für uns von Schreibstadt aus Plätze reserviert hatte, sollten wir uns nochmal melden.
Der Tunnel kam endlich zu einem Ende. Wir stolperten ins Freie, blinzelnd nach einer so langen Zeit der Dunkelheit und zogen die Tür hinter uns zu, wie man es uns gesagt hatte.
Dann machte Blue den nächsten Schritt – und war plötzlich auf halbem Weg die Kasperl hinunter, wo er laut lachend liegen blieb.
Oh nein. Ich hatte fast schon vergessen was die Comedy-Ecke für ein gefährliches Pflaster sein konnte. Überall lief man Gefahr zu lachen und sich dann mit einer Krankheit anzustecken, die es einem unmöglich machte damit wieder aufzuhören.Und die Berge waren offensichtlich Kasperl. Das fing ja gut an.
„Warum wurde der Autor ausgebuht?“, fragte Blue von unten.
„Hör auf mit dem Mist, wir haben was Wichtigeres zu tun.“
„Ach komm, sei keine Spielverdreberin! Also, warum wurde der Autor ausgebuht?“
„Gut, warum wurde der Autor ausgebuht?“, fragte ich ihn. Je schneller wird dieses Spiel hinter uns brachten, desto schneller konnten wir weitergehen.
"Weil er nur einen kurzen Blick in das Drehbuh geworfen hatte!“
„Buh! Mieser Witz!“, rief ich ihm zu.
„Sei nicht so fies“, schmollte er.
„Mit sowas musst du rechnen wenn du einen Witz übers Ausgebuht werden bringst. Das ist reine Logik, Blue.“
„Ach bleib mir weg mit deiner Logik.“
„Ich glaube ich habe noch ein bisschen Scherzresistenz übrig“, meinte meine Oma und begann in den Taschen ihrer Robbe zu kramen. „Die sollte vermutlich Blue bekommen.“
Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Momentan fing er an irgendetwas darüber zu reden, dass der Knoblauch hier zu den Lachgewächsen zählte, weil man beim Knoblauchschneiden zu Lachen anfing - sozusagen als Entschädigung für das Weinen beim Zwiebelnschneiden.
Ein bisschen mussten wir leider noch durch die Comedy-Gegend laufen und deshalb gute-Laune-Blue ertragen. Das war fast noch schlimmer als damals mit den zwei Blues. Da war immerhin einer von ihnen ernst gewesen, was den anderen etwas ausgeglichen hatte. Aber hier…
Wir kamen durch eine Kleinstadt, wo wir uns in einem Laden mit ein paar neuen Klamotten eindeckten. Ein Großteil unserer alten Sachen war immerhin in einem Dorfteich versunken. Da wir den Teppich und unser Gepäck nicht gefunden hatten, vermutete ich, dass das in dem tiefen Teil des Teiches gelandet war, den ich aus Versehen herbeigezaubert hatte. Ich hatte mich eben darauf konzentriert meine Kameraden wieder nach oben zu bringen, nicht unser Gepäck, oder unser Transportmittel. Wegen Gegenständen, die man leicht ersetzen konnte, Lebenszeit zu vergeuden, kam mir sowieso nicht wie eine gute Idee vor.
So fanden wir uns alle in dem Klamottenladen wieder, in dem Blue darauf bestand einen Koffer für seine neuen Sachen zu kaufen (mit dem Zettel von Mr. Ian Woon, der dafür bezahlen würde, wie er uns zugesichert hatte), nämlich Freugepäck. Gleichzeitig buchte er dann noch einen normalen Koffer dazu, mit der Begründung, dass nicht alles Gepäck glücklich sei. Manchmal war er fast schon niedlich. Und manchmal war er so nervig, dass ich ihm am liebsten den Hals umdrehen würde.
Als wird am Kirchturm vorbeikamen, konnten wir einen Blick auf den Glückner erhaschen, der die Glocken leutete und bei dem anscheinend die Jobbeschreibung „ewiges Grinsen oder Lachen“ beinhaltete.
Die meisten normalen Leute speisten uns mit einem wohlwollenden Nickel und Lächeln ab. Anstatt dass die Türen hier knarrten, narrten sie und erzählten jedem, der eintrat, Scherze. Das veranlasste Blue dazu durch dieselbe Tür gefühlte hundert Mal zu laufen, nur damit sie sich weiter mit ihm unterhielt.
Um ihn zumindest für kurze Zeit ruhigzustellen, kauften wir in einem Bäckerladen Lachschnittchen und Kichernüsse, was sich allerdings als Fehler herausstelte, da die Nüsse die ganze Zeit kicherten bis Blue sie gegessen hatte – nur damit er dann anfing zu kichern. All diese gute Laune überall machte mich ganz kirre.
Als Blue dann ein Lachanfall beschwert wurde, hatte ich endgültig genug. Lachanfälle waren sowieso schon anstrengend, aber dann auch noch beschwerte Varianten davon…
Ich war froh, als wir in eine Ecke kamen, in der die Leute mit ernstem Gesicht arbeiteten und sagten sie würden schwarzeLächer anlegen, die alle Motivation um sich herum verschluckten. Das wäre das einzige Gegenmittel für Schreibheuschrecken, die währen des Novembers wohl in Scharen eingefallen waren. Weil wir alle so neugierig waren was das wohl sein könnte, gab man uns einen Eintrag in einem Lexikon zu lesen:
Einfall der: Schreibheuschrecken (Orthoptera scribens). Diese possierlichen Tierchen vermehren sich in freier Wildbahn im November mit erschreckender Geschwindkeit. Sie halten sich gern in Cafes und anderen Orten mit freiem Wifi auf. Es gibt allerdings auch eine nachtschwärmende Gattung, die man eher in Wohnungen antrifft.  Schreibheuschrecken leben in einer alternativen Realität, weswegen man sie besser nicht unverhofft ansprechen sollte, damit sie nicht anfangen, orientierungslos herumzukreisen. Die Haltung ist allerdings recht einfach: ein kleiner Raum mit Computer und Kaffeemaschine halten sie für Wochen am Leben und man kann den possierlichen Tierchen beim Tippen zuschauen. Vorsicht ist allerdings bei der Gattung der Irren Schreibheuschrecke (Orthoptera scribens delirus) geboten, denn bei der verselbständigen sich manchmal die Hände, während der Rest des Körpers in eine Schlafstarre verfällt. Man darf die Schreibheuschrecke dann auf keinen Fall wecken, damit sie nicht vor Schreck auf die Delete-Taste drückt und tot umfällt. Am besten träufelt man ihr etwas Zuckerlösung ein, um die Starre zu lösen. Bei guter Pflege gedeihen die Tierchen das ganze Jahr, aber die wildlebende Variante kann man am besten im November in freier Wildbahn beobachten.
Kurz bevor wir die Comedy-Gegend endlich verlassen konnten, lief mir dann doch noch etwas über den Weg, mit dem sogar ich etwas anfangen konnte.
„Ich habe gerade einen Guckhupf gefunden!“, verkündete ich stolz und hielt das kleine Wesen hoch. Es war ein kleines, metallisches Ding mit Beinen und einem pelzigen Schweif, das herumhüpfte und versuchte mir zu folgen. Es hoppte sich hin und sah mich mit großen Augen an. Ein wenig erinnerte es mich an Fluffles, nur ohne den Drang es zu schreiben. Das war zwar kein Ersatz für mein bereits geschriebenes Bunny, aber trotzdem steckte ich den Guckhupf in eine Tasche meiner Robbe, wo er erst einmal Ruhe gab.

4 Kommentare:

  1. Ein großes Dankeschön für die Schreibheuschrecken. Die Beschreibung fand ich so klasse, dass ich sie übernommen habe. Das war super. (Ich hoffe zumindest das war erlaubt. Falls nicht, kann ich das noch ändern ^^).

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  2. Ich stell mir bei dem ständig lachenden Blue mehr oder weniger dich vor, wie du die ganze Zeit lachend vor dem Fehlerthread sitzt XD Herrlich ^^

    Zwei Fehler sind mir aufgefallen, aber könnten auch mehr sein, weil ich gerade ziemlich müde bin...schien aber nit sonderlich viel daovn zu halten/zumindest bis Blue die Kerz anzündete

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