Dienstag, 3. November 2015

2. Kapitel



Wir wurden sofort von der Empfangsdame durchgewunken, die in der Eingangshalle der Gallerie hinter einem Tresen saß und standen bald vor den ersten Gemälden – die, zu meiner unendlichen Erleichterung, keine Eingeweide zeigten. Stattdessen war die Ausstellung als „Piart – Piratenkunst“ betitelt worden. Dass meine Oma mit einem verträumten Blick vor dem Gemälde eines Schiffes stehen blieb, das sehr an die Biship, das Schiff von Piratenkapitätän Lurz, erinnerte, wunderte mich gar nicht. Diesen Blick hatte sie jedes Mal drauf, wenn die Sprache auf ihn kam, und das war oft. Vor allem, seit die beiden eine Kreuzfahrt zusammen planten, erzählte sie kaum noch von etwas anderem.
Trotzdem schafften wir es irgendwann in die nächste Ausstellungshalle. Die sah aus, als wären dort Farbkanister explodiert. Die Farbspritzer waren nicht nur auf den Bildern, sondern auch auf den Wänden verteilt und zogen sich sogar über die Türrahmen.
„Woah. Was ist hier passiert?“
Auch Blue war stehen geblieben und starrte auf einen knallroten Fleck in Kopfhöhe, der sich nicht mal annähernd in der Nähe einer Leinwand befand.
„Das sieht aus als hätte man hier Kinder reingeschickt und sie mit Farbe gefüllten Wasserbomben bewaffnet…“
„Das hier symbolisiert die Farbbeutelwürde“, erklärte Hannes. „Wissen über Kunst gehört mit zur Erzierung. Die Farbbeutelwürde wird beeinträchtigt, wenn man zu oft die Farben einschränkt und in enge Bilderrahmen sperrt. Deshalb wird der Farbe in einigen Räumen freien Lauf gelassen.“
Blue schüttelte den Kopf, als wollte er Farbspritzer loswerden, die ihm nicht mehr aus den Augen gehen wollten. Seine Hand wanderte zum Schwert, das er auch jetzt um die Hüfte geschlungen trug – aber wie konnte ich ihm das übel nehmen, wenn ich selbst meinen Bogen dabeihatte. Genau wie Phoenix‘ Feder, die immer noch um meinen Hals baumelte und die ich bisher nicht einen Moment lang abgenommen hatte. Was er allerdings mit dem Ding gegen Farbkleckse anrichten wollte, war eine andere
„Diese Farben machen mir Kopfschmerzen, gehen wir weiter“, meinte er nur und ging zur mit Blau zugekleckerte Tür auf der anderen Seite der Halle.
Der nächste Raum trug die Überschrift „Plausbilder“ und zeigte seltsam groteske und verzerrte Figuren. Niemand ließ sich zu einem Kommentar herab. Im nächsten Raum war es allerdings Blue, der abrupt stehen blieb und von uns weitergezogen werden musste.
„Können wir nicht noch ein bisschen bleiben?“, fragte er, während ihm offensichtlich das Wasser im Mund zusammenlief. „Der Mann da erklärt gerade den Leuten vom Catering wo sie das Büffel aufstellen sollen!“
„Das Buffet“, korrigierte ich ihn.
„Nein, Büffel. Hast du nicht gesehen, dass sie aus den ganzen leckeren Sachen einen Büffel gebaut haben? Das Ding ist riesig…!“
Seine Augen bekamen denselben abwesenden Glanz, den ich schon von meiner Oma in Verbindung mit Lurz kannte. Dieser Kerl und Essen! Das war echt nicht zum Aushalten…
Ohne auf seinen Protest zu achten, zerrte ich ihn durch die nächste Tür, während alle anderen ein Grinsen unterdrücken mussten. Blue sah dem Büffel noch einen Monet lang hinterher – zusammen mit der Büffelfigur hatten sie auch ein Gemälde von Monet mit Essen nachgestellt, was in einer Kunstgallerie wesentlich mehr Sinn machte – ließ er sich schließlich dazu herab mir in die Cafeteria zu folgen, in der Mr. Ian Woon bereits an einem Tisch saß, begleitet von zwei Leibwächtern, und uns freudig entgegensah.
„Hallo! Wie schön euch alle mal wieder zu sehen.“
Tatsächlich hatten wir ihn seit der Kick-Off-Party nicht mehr gesprochen, bei der wir als die Helden des NaNo-Landes gefeiert worden waren. Auf der Thank-God-it’s-over-Party, die Ende November zum Ende des NaNo abgehalten worden war, hatten meine Oma und ich ihn zwar noch einmal gesehen, aber dort war er so von anderen Ratsmitgliedern umgeben gewesen, dass wir kein Wort hatten wechseln können.
„Lass mich raten“, meinte Blue. „Das NaNo-Land ist in Gefahr und wir sollen es retten?“
„Das hättest du etwas galanter ausdrücken können, aber ja.“
Na super. Da hatte ich einen ganzen Monat voller Wahnsinn hinter mich gebracht, nur um schon wieder sowas aufgehalst zu bekommen. Wobei, wenn dabei wieder ein Bunny wie Fluffles für mich heraussprang, würde es sich vielleicht lohnen. Außerdem war mit in den letzten 30 Tagen das NaNo-Land noch mehr ans Herz gewachsen als sowieso schon während unserer gehetzten Reise durch die verschiedenen Genre-Regionen.
„Was ist passiert?“
Meine Oma klang ehrlich besorgt. Sogar ihre Hand war wieder aufgewacht und auf ihre Schulter geklettert, von wo aus sie den König des NaNo-Landes aufmerksam zu beobachten schien. Ihr Gemütszustand war allerdings immer schwierig zu beurteilen. Immerhin hatte sie keine Augen. Und keinen Mund. Und keine Nase.
„Kennt ihr den Großen Roten Knopf des Verderbens?“
Mir rutschte ein Schnauben heraus und auch Blue musste ein Grinsen unterdrücken. Seltsame Namen, Klappe die zweite. Wer auch immer das Ding benannt hatte, sollte vielleicht mal einen Schreibkurs belegen.
„Das ist dann wohl ein Nein. Das hört sich vielleicht nach einem Scherz an, aber dieser Knopf stellt eine reelle Gefahr für das NaNo-Land dar. Wenn dieser Knopf gedrückt wird, werden sämtliche Geschichten gelöscht, die es im NaNo-Land gibt. Alle Plotbunnys, die je geschrieben wurden, alle Bücher in den Buchläden und Bibliotheken... es wäre eine absolute Katastrophe!“
Fluffles, war mein erster Gedanke. Ich hatte 30 Tage darauf verwendet ihm die Geschichte zu schreiben, die es verdiente. Gerade hatte ich begonnen seine Geschichte zu überarbeiten und jetzt sowas? Das würde ich nicht zulassen.
„Das ist doch ganz einfach“, meinte Blue. „Sorgen Sie dafür, dass der Knopf von niemandem gedrückt wird!“
„So einfach ist das eben leider nicht“, seufzte Mr. Ian Woon.
Seit wann war sowas einfach? Das wäre mal was Neues. Wenn unser Abenteuer vor dem letzten NaNo auch nur ein Anhaltspunkt dafür war, würde so etwas nie einfach werden.
„Der Knopf ist verflucht, sodass ihn jeder drücken will, der ihn sieht. Nur wenige Menschen sind immun gegen diese Kraft. Solange der Knopf innerhalb einiger Sekunden wieder zurückgedrückt wird, passiert nichts, aber sollte er gedrückt bleiben…“
„Dann versteckt ihn!“
„Geht auch nicht. Er teleportiert sich regelmäßig, wenn er nicht von verschiedenen Leuten gedrückt wird.“
„So ein Blödfug“, grummelte Blue. „Wer hat sich den Mist ausgedacht?“
„Deus ex Machina“, antwortete Mr. Ian Woon. „Ein berühmt-berüchtigter Erfinder. Wir sind zwar alle ein wenig verrückt, aber der hat den Vogel abgeschossen.“
Das konnte er laut sagen. Wer baute denn so einen Mist?
„Bisher haben wir den Knopf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Durch den Tourismus lässt sich ein bisschen Geld verdienen, das mit dazu benutzt wird die Wachen zu bezahlen, die auf den Knopf aufpassen. Sie sind einige weniger der Menschen, die immun sind. Allerdings drohen die seit einigen Wochen mit Streik.“
„Was? Sind die verrückt?“, schrie Blue. „Die riskieren es wirklich, dass alle Geschichten gelöscht werden?“
Mr. Ian Woon zuckte nur mit den Schultern und schlürfte von seinem Kaffee, den er vor sich stehen hatte. Ein Kellner stand in Rufweite, bereit zu springen, sobald wir Wünsche äußerten, aber wir hatten gerade erst im Café etwas getrunken und die Neuigkeiten schienen selbst Blue den Appetit gehörig verdorben zu haben.
„Was wollen Sie von uns?“
Meine Oma schien mal wieder die einzige zu sein, die einen kühlen Kopf bewahrt hatte. Ich war genauso schockiert wie Blue und Hannes sah auch aus als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Nur Freundschaf kaute seelenruhig auf einer Ecke der Tischdecke herum, was der Kellner mit einem leidgeprüften Blick zur Kenntnis genommen hatte.
„Da ihr die Krise mit der Plotbunnysinvasion so graziös gelöst habt, hatte ich gehofft ihr würdet euch den Großen Roten Knopf des Verderbens einmal ansehen und, falls einer von euch dagegen immun ist, sich mit anderen Leuten abwechseln, die wir eventuell finden werden.“
„Wieviele habt ihr denn schon?“, fragte Blue.
„Nun ja… keinen…“
Das wurde ja immer besser. Betretenes Schweigen hatte sich unter uns breit gemacht und sogar Freundschaf hatte aufgehört auf der Tischdecke zu kauen und starrte uns aus großen Augen an.
„Was machen die Vertreter der NaNo-Regionen?“, wollte ich wissen.
„Die haben einen Haulehrer engagiert. Damit sie sich noch besser kloppen können, um über die Situation zu diskutieren…“ seufzte er.
„Das ist nicht viel.“
Erneutes Schweigen setzte ein, nur begleitet von Freundschafs Schmatzen.
Mr. Ian Woon nickte. „Also, helft ihr?“

5 Kommentare:

  1. Ist die unenliche Erleichterung im ersten Satz auch eine Stilblüte? Hach, Blue und Essen verdienen eine eigene Geschichte! Hey, wegen der Benennung fühl ich mich jetzt angesprochen =D Und welcher Job ist schon einfach, wenn das jemand sagt liegen mir immer die Worte auf der Zunge, das es niemals einfach ist :) Das der Knopf sich teleportieren kann ist mir neu und auch von Deus Ex Machina hab ich noch nie gehört ;) Ansonsten wieder mal super geschrieben... ich lag schon wieder die Hälfte der Zeit am Boden vor Lachen.

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    1. Nein, ist die nicht. Also wurde sie wieder entfernt, denn die macht da keinen Sinn. ^^ (Das Kapitel habe ich 5 Minuten hochgeladen bevor ich zur Uni musste. Dementsprechend habe ich nur grob drübergelesen.)
      Wegen welcher Benennung? Overachiever? Passt doch auf mich auch. :P

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    2. Ah okay :) Dann sei dir verziehen ;)

      Nein, ich meinte eher den Kommentar zu dem Knopf, das der Namensfinder einen Schreibkurs belegen sollte =D Das hieße doch das wir zwei an so einem teilnehmen müssen oder nicht ^^ Das passt dann allerdings auch auf dich wie mir gerade auffällt XD

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    3. Das schöne an dieser Geschichte ist, dass ich mir solche Namensgebungen erlauben kann. Je lächerlicher und stereotypischer es klingt, desto besser. xD

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