Sonntag, 15. November 2015

15. Kapitel



Freundschaf schaute dem Maskottchen nur mit einem verachtungsvollen Gesichtsausdruck hinterher. Dann schnaubte es einmal, drehte sich entschieden um und sah uns mit großen, treuen Augen an, bevor es sich daran machte das Fußballstudio zu verlassen.
„Freundschaf hat Recht“, meinte ich. Um es zu übersetzen brauchte ich kein Gerät vom Froschungslabor. Freundschaf verstand man auch so, das war schon immer so gewesen. „Lasst dieses arrogante Vieh doch weiter Einshockey spielen. Wenn Freundschaf mit so einem Ding Wache schieben müsste, wäre das sowieso ein absoluter Albtraum.“
„Aber… das war bisher unsere einzige Spur!“, jammerte Blue. „Ich will meine Geschichten nicht verlieren. Du ahnst ja gar nicht wieviel ich schon geschrieben habe. Wenn ich das alles nochmal machen müsste, würde ich zu nichts mehr kommen! Das kann ich mir einfach nicht leisten!“
Sah ich das richtig, oder wurden seine Augen tatsächlich ein wenig feucht? Allerdings musste ich zugeben, dass mich der Gedanke Fluffles zu verlieren auch sehr mitnahm. Ich hatte den ganzen November damit verbracht es zu schreiben. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen wie es für Blue sein musste, der schon so viele Geschichten in so vielen NaNos geschrieben hatte. Die alle auf einmal zu verlieren war vermutlich der schlimmste Albtraum eines jeden Wrimos.
„Kopf hoch ihr beiden!“ Meine Oma war mal wieder optimistisch ohne Ende. „Wir finden schon eine Lösung. Das war nur unsere erste Spur. Dass sie ausgerechnet zu so einem Mistvieh führen musste war Pech, aber das heißt nicht, dass unsere Reise hierher umsonst gewesen ist. Habt ihr mitbekommen, dass es hier eine Universitöt gibt? Jetzt ist es zu spät, aber morgen früh können wir uns dort bestimmt umsehen. Vielleicht weiß da jemand etwas über Freundschafe und kann uns weiterhelfen.“
Meine Oma stütze sich auf ihren lila geblümten Regenschirm, ließ sich von ihrer Hand den Samthut richten und folgte Freundschaf aus dem Studio.
„Sie hat Recht, weißt du? Aufgeben kommt nicht in Frage“, versuchte ich Blue aufzumuntern. „Wir sind immerhin diejenigen, die die Plotbunnyinvasion gestoppt haben! Und wenn wir etwas aufhalten konnten, gegen das es nicht einmal ein Mittel gibt, dann werden wir es doch wohl schaffen ein paar Schafe zu finden.“
„Hört auf die beiden, Blue“, meinte auch Hannes. „Wir finden einen Weg eure Geschichten zu retten.“
Das erste Mal dachte ich daran, dass Hannes überhaupt keine Geschichten schrieb. Er war vermutlich einer der Charaktere, die in vielen Geschichten auftauchten. Der Froschprinz. Altmodisch, wie im Märchen von den Gebrüdern Grimm, versetzt in die neue Zeit, oder als Könlingssohn. Würde er verschwinden wenn all die Geschichten verschwanden, in denen er eine Rolle spielte?
Wieviele Charaktere würden den Tod finden, wenn dieser Knopf gedrückt wurde? Das könnte locker die halbe Population des NaNo-Landes auslöschen und einige Autoren dazu bringen vor lauter Frust darüber ihre Geschichten verloren zu haben, das Handtuch zu werfen und das NaNo-Land ebenfalls zu verlassen.
Ich wusste jedenfalls, dass ich es mir überlegen würde, ob ich im nächsten Jahr noch einmal mitmachen würde, wenn ich mir nicht sicher sein konnte, dass meine Geschichte einen sicheren Platz hier hatte und nicht jederzeit gelöscht werden konnte, nur weil ein paar dumme Wachmänner meinten streiken zu müssen.
Seufzend folgte ich Freundschaf und meiner Oma. Ich hoffte wirklich sie hatte Recht. Ansonsten saßen wir ganz schön in der Tinte.
Oma und Freundschaf warteten draußen darauf, dass Blue und ich ihnen folgten und dann setzten wir uns in Bewegung. Den Fakir hatten wir mit dem Gepäck und dem Teppich schon vorgeschickt, sodass wird wenigstens nicht viel tragen mussten. Blues Handy und die Karte erwiesen sich wieder als sehr nützlich und innerhalb kürzester Zeit standen wir vor dem Gasthaus des „Goldenen Wuchses“.
Warum jemand sein Gasthaus so nennen würde, wusste ich nun wirklich nicht. Vielleicht war es mal ein goldener Fuchs gewesen; das machte immerhin ein kleines bisschen Sinn. Nett war allerdings das Schild mit dem Namen, das ein verschnörkeltes, goldenes W hatte und in riesigen Lettern über der Tür prangte.
Der Fakir hatte das Gepäck schon auf unsere Zimmer gebracht und so hatten wir genug Zeit, um in Ruhe zu Abend zu essen. Interessanterweise taten wir das an einem Tischenküch. Dieses Möbelstück konnte man, laut meiner Oma, sowohl in der Küche als Tisch zum Schneiden von Zutaten, die man zum Kochen benötigte, verwenden, als auch als Esstisch, um die zubereiteten Gerichte danach zu verspeisen. Letzteres war wohl hier der Fall. Obwohl ich den Tischekich meiner Oma in Schreibstadt immer noch niedlich fand; der lachte so süß.
„Ich fühle mich heute kulinarisch“, verkündete Blue, nachdem er die Speisekarte studiert hatte. Er legte eine Pause ein, um den größten dramatischen Effekt zu erzielen. Dann erzählte er, wofür er sich entschieden hatte. „Ich nehme Götterscheiße und Sex on the bitch!“
Wir brachen alle in schallendes Gelächter aus und sogar Freundschaf ließ sich zu einem amüsierten „Mäh“ hinreißen.
„Und was für kulinarische Köstlichkeiten werdet ihr euch aussuchen?“ Er hob eine Augenbraue und wartete auf unsere Entscheidung.
Nun gut, wenn das hier ihn aufheitern würde, dann würde ich mir das seltsamste Gericht der ganzen Karte aussuchen. Zum Blue aufheitern würde ich meinen Magen aufopfern.
„Mal sehen. Ich glaube eine Kombi wäre nicht schlecht. Was haltet ihr denn von Seearsch mit Poliven und Leistungswasser?“
Das letzte hörte sich tatsächlich nach etwas an, das man in einer Studentenstadt gebrauchen könnte – oder während des NaNo. Leistungswasser könnte praktisch sein. Was ein Seearsch war, würde ich wohl herausfinden müssen. Und was waren Poliven? Eine Mischung aus Oliven und Polizisten?
Meine Mischung reichte jedoch, um Blue, Hannes, und meine Oma erneut zum Lachen zu bringen, was Sinn und Zweck der ganzen Sache gewesen war.
„Dann bin wohl ich an der Reihe“; seufzte meine Oma. „Ich habe nicht so viel Hunger, also werde ich wohl bei etwas Obst bleiben. Wie wäre es denn mit missmusiger Blanane mit Mormelade und einem Bergglas? Und zum Nachtisch Mango-Maracuja-Schmappons.“
„Was ist das denn?“, prustete Blue.
„Soweit ich weiß ist missmusiges Zeug etwas, das ohne Muse ist. Also etwas, was man während des NaNo nicht unbedingt essen wollen würde. Die Blanane ist eine besondere Züchtung der Banane, die blabla-ähnliche Laute von sich gibt. Was das Bergglas angeht – keine Ahnung. Ich hoffe nur ich muss keinen ganzen Berg trinken. Und vom Nachtisch lasse ich mich überraschen.“
Dass der Kellner all unsere Bestellungen mit einer gleichgültigen Miene entgegennahm, machte das ganze nur noch lustiger. Wie konnte man solches Zeug nur für normal halten? Wobei ihm dann das Gesicht entglitt, war als Hannes frische Fliegen bestellte, was einen neuen Lachanfall an unserem Tisch auslöste.
Das Essen war tatsächlich nicht schlecht. Blues Götterscheiße sah zwar ein wenig fragwürdig aus und erinnerte uns alle an den Vorfall mit der Kloppbürste, den wir am liebsten vergessen würden, aber ansonsten schmeckte es in Ordnung. Der Seearsch entpuppte sich als normaler Fisch in Arschform, was uns erneut an die Kloppbürste erinnerte. Das Bergglas war das am wenigsten Spannende, denn das war einfach ein Glas mit Bergwasser. Wie langweilig.
Witzig war allerdings die Blanane, die selbst in ihrer missmusigen Form noch ein paar Blablablas von sich gab, bevor sie im Mund meiner Oma verschwand. Mango-Maracuja-Schmappons stellten sich als kleine Süßgkeiten-Fruchthäppchen heraus. So ganz war sich niemand sicher aus was die bestanden, aber es musste wohl etwas mit Mango und Maracuja zu tun haben.
Sogar Hannes‘ Fliegen wurden uns an den Tisch gebracht, mit der Nachricht, dass der Koch sie eigenhändig vor wenigen Minuten in der Küche gefangen hätte. Das konnte man ihm glatt glauben, denn wir alle hatten vorher das sehr vielsagende Geräusch der Fliegenklatsche und dazwischen die Flüche des Kochs gehört, als er auf der Jagd nach Hannes‘ Abendessen gewesen war.
Alles in allem endete der Tag besser als er begonnen hatte. Wir waren hundemüde und nach dem Abendessen verschwanden wir alle in unsere Zimmer. Dort erwartete uns die nächste Überraschung. Auf dem Bett gab es eine Decke und ein Poster. Unter einem Poster hatte ich noch nie geschlafen – wie vermutlich die meisten Menschen. Es war schon ein seltsames Gefühl sich unter einem gigantischen Fotoaufdruck von Mr. Ian Woon einzurollen. Oma hatte irgendeine Sängerin erwischt.
Ich war gerade dabei einzuschlafen, als es an der Tür klopfte. Seufzend stand ich noch einmal auf und tappte Richtung Flur. Es war Blue, der an die Tür des Bruders meines Zimmers klopfte.
Moment mal, was?
„Äh, Blue, kennst du die Verwandtschaftsverhältnisse unserer Zimmer? Ich hatte da gerade so einen seltsamen Gedanken…“
„Die sind Brüder oder sowas. Glaube ich. Ach, scheiß drauf, die Zimmer sind mir nämlich egal.“ Er grinste. „Was hast du für ein Poster?“
„Ich habe Mr. Ian Woon und Oma irgendeine Sängerin, deren Namen ich vergessen habe. Du?“
„Einen berühmten Overachiever. Du weißt schon, einen von denen, die im November eine Million Wörter schreiben…“
„Also dein Zukunfts-Ich?“, neckte ich.
„Ach hör doch auf.“ Sieh mal einer an. Da war Blue doch tatsächlich rot angelaufen unter seinen blauen Haaren. Ob beabsichtigt oder nicht, da hatte ich wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Haben sie versucht dir auch einen Vorschlaf zu unterbringen?“, fragte er.
„Häh? Einen was?“
„Vorschlaf – heute günstiger! Fast so erfrischend wie richtiger Schlaf, nur früher und schneller!“, rezitierte er. „Also nicht?“
Ich schüttelte nur den Kopf. Langsam wurden meine Füße kalt, denn ich stand in meinem blau-geblümten Schlafanzug in einem kalten, zugigen Flur. Den hatte meine Oma mir vor einer Weile geschenkt. Blue schien das ebenfalls zu bemerken, denn er kam endlich zur Sache.
„Ich wollte mich nochmal bedanken. Für alles, meine ich. Dafür, dass du mir den Kater weggezaubert hast, dafür, dass du mich entfrostet hast und dafür, dass du versucht hast mich vorhin aufzumuntern. Ich weiß ich kann manchmal eine echte Nervensäge sein, aber… ich meine das nicht so. Ehrlich. Das hier meine ich ernst.“
Jetzt lief er schon wieder rot an, stammelte etwas und versuchte in seinem Zimmer zu verschwinden.
„Hey, Blue!“
„Ja?“ Er drehte sich noch einmal um.
„Dann muss ich mich aber auch bedanken. Dafür, dass du den Einfall mit den Lianen hattest, um uns aus der Werrolf-Krise rauszubekommen und dafür, dass du diese fiese Vampirschaf getötet hast, das meine Oma verschluckt hatte.“
„Kein Thema.“ Er drehte sich um und öffnete die Tür direkt gegenüber von dem Zimmer, das sich meine Oma und ich teilten.
„Ach noch was“, hielt ich ihn erneut zurück.
„Ja? Willst du mir beweisen, dass du auch nervig sein kannst?“
„Unter anderem. Aber hat Hannes auch ein Poster bekommen? Nur weil er so viel kleiner ist, heißt das nicht, dass er nicht auch unter einer überdimensionalen Geschmacksverirrung schlafen sollte.“
Das brachte das Lächeln noch einmal zurück auf sein Gesicht. „Sie haben ihm ein Bett in einer Schublade eingerichtet, aus Gästehandtüchern und Waschlappen. Und rate mal wessen Gesicht drauf ist. Das des Könlings. Gute Nacht, Mia.“
Das brachte uns beide zu glucksen. Allein die Vorstellung von Hannes, wie er versuchte mit einer Bettdecke einzuschlafen, die das riesige Counterfeit seines eigenen Vaters trug, war zu komisch.
„Worum ging es?“, fragte meine Oma.
„Darum, dass Hannes unter einem Waschlappen schläft, der das Gesicht seines Vaters trägt.“
„Schlaf lieber, Mia. Morgen wird ein anstrengender Tag. Wie immer, wenn wir in dieser Konstellation unterwegs sind.“
Wenig später begann meine Oma zu schnarchen. Am Anfang hatte mich das gestört, aber mittlerweile hörte ich es gar nicht mehr. Es war fast schon beruhigend einzuschlafen, während sich meine Oma neben mir anhörte, als würde sie den ganzen Legendenwald abholzen. Solange sie den Teil erwischte, in dem sich Elsa aufhielt, war mir das vielleicht sogar recht.

3 Kommentare:

  1. „Ich nehmen Götterscheiße und Sex on the bitch!“ XD Ich kann nicht mehr <.< Das bestell ich wenn wir das nächste Mal Essen gehen ^^

    Und oh... Blue und Mia!

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    1. Ja, das Essen ist immer wieder gut. xD

      Du siehst warum die mir solche Probleme machen? -.-

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    2. Köstlich auf jeden Fall vermutlich auch XD

      Ja ich sehe es <.< Aber ich muss sagen so schlimm zu lesen ist es nicht, im Gegenteil ^^

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