Samstag, 14. November 2015

14. Kapitel



Nachdem Roberot uns ordentlich Proviant mitgegeben hatte (unter anderem eine Dose mit Kaminchenfleisch), verließen wir den Legendenwald.
„Kommt mal wieder“, ließ das Tor von sich hören als wir den Wald unter seinen hölzernen Runen hindurch verließen.
Der Fakir war erstaunlich froh uns zu sehen. Anscheinend hatte er seine persönlichen Abenteuer erlebt, während wir uns mit den Kreaturen des Legenden-Waldes herumgeschlagen hatten. Vielleicht war ihm auch nur kalt und er wollte einfach wieder in eine Stadt kommen, in der wir in richtigen Hotels würden übernachten können.
„Ich kann nicht fassen, dass ihr eine Disney-Prinzessin getroffen habt!“ Hannes konnte nicht aufhören davon zu reden, obwohl ich ihm am liebsten den Mund gestopft hätte. Wenn dieser Vorfall in meinem ganzen Leben nicht mehr erwähnt wurde, war das immer noch zu viel.
„Ja, haben wir. Aber es war nicht die Erfahrung á la Disneyland, glaub mir.“
„Tue ich ja, aber es muss trotzdem cool gewesen sein“, überlegte er.
„Ich habe schon ganz andere Sachen gesehen. Der Legendenwald war cool. Die Wandernde Bibliothek war cool. Sogar von einem Drachen verfolgt zu werden war irgendwie cool, denn wer kann das schon von sich behaupten? Auch wenn ich die Erfahrung nicht wiederholen will. Aber von einer Göre eingefroren zu werden zählt nicht zu den Erlebnissen, die ich irgendjemandem auf die Nase binden will.“
Das brachte ihn endlich dazu aufzugeben und das Thema auf sich beruhen zu lassen.
Blue hatte anscheinend einen etwas schlechteren Tag was das Fliegen mit dem Teppich anging. Er war wieder so weiß angelaufen wie am ersten Tag und krallte sich nur in der Mitte des Teppichs fest. Ich musste zugeben, dass der Fakir etwas ruppiger flog als sonst, was allerdings daran liegen könnte, dass doppelt so viele Leute auf Teppichen unterwegs waren wie an den Tagen zuvor.
Großstadt sah von Weitem aus wie eine ganz normale Stadt in der Realität. Diese Gegend war die Ecke, wo sich all die Autoren herumtrieben, die keinerlei fantastische Elemente in ihre Bücher einbauten. Chicklit war nur ein Beispiel dafür.
Es gab ein extra Landedeck auf der obersten Etage einer Tiefgarage, das für die Teppichflieger reserviert war. Ein Hotel hatten wir auch schon gefunden und so schickten wir den Fakir vor, während wir beschlossen die letzten Stunden des Tages sinnvoll zu nutzen.
„Das einzige, was ich über Schafe in Großstadt gefunden habe, ist, dass die lokale Mannschaft ein Schaf als Maskottchen hat“, meinte meine Oma.
„Dann schauen wir uns doch ein Spiel an! Heute müsste eins stattfinden.“ Blue hatte bereits sein Handy gezückt und eine Karte für Großstadt heruntergeladen. 
Das war der einzige Nachteil des Legenden-Waldes gewesen. Wir hatten kein bisschen Netz gehabt. Hier war das alles anders. Hier war es tatsächlich normal Internet zu haben und mit Telefonen in der Hand durch die Gegend zu rennen anstatt mit Gedankenspinnen. Diese Stadt war eine fast perfekte, wenn auch idealisierte Kopie einer Stadt aus der Realität. Da allerdings immer noch Leute aus anderen Regionen kamen, liefen trotzdem einige seltsame Gestalten herum. Vielleicht konnte man Großstadt eher mit einer normalen Großstadt während einer Cosplay-Convention gleichsetzen.
Wir machten uns auf den Weg, uns immer an Blues Anweisungen entlanghangelnd. Meine Einschätzung, dass diese Stadt vollständig auf einer Stadt der Realität basierte, musste ich allerdings zurücknehmen als ich sah wie zwei angrenzende Häuser etwas unterschiedlich in die Straße jagten. Ein jagendes Haus sah man nicht alle Tage.
Warum sie sich bewegen konnten, wurde auch bald klar. Neben mir befand sich ein Straßenrad. Die Straße konnte stückchenweise auseinandergenommen oder wieder zusammengesetzt werden und auf Rollen durch die Gegend geschoben werden. Das Prinzip war gut. Die Umsetzung… die jagenden Häuser schienen zu zeigen, dass es da noch ein wenig haperte.
Obwohl ich froh war, dass es hier, anders als im Legenden-Wald, wenigstens vernünftiges Licht gab, waren die Lichtquellen doch sehr seltsam. Mit der Straßenalterne konnte ich nichts anfangen, bis mir Oma erklärte, dass es die große Schwester der Subalterne war. Größtenteils schien sie nur dazu da zu sein, um Licht zu machen und ein Hindernis für Menschen zu bieten, die es eilig hatten. Eine Alternative dazu war die Straßenlamperne. An sehr unzugänglichen Stellen und an den Stellen, wo es nachts gefährlich werden könnte, war sogar eine Strahlbeleuchtung aufgestellt worden. Es gab keine Chance in einem so ausgeleuchteten Umfeld nicht zu sehen, wenn sich eine Person näherte.
„Bei der Sichtwiese hier müssen wir links“. Blue schaute zurück auf sein Handy, um die Straßennamen miteinander zu vergleichen. „Sichtwiese, auch Sichtwese genannt, da es sich bei diesem Stück Grün früher um einen Friedhof gehandelt hatte und… iih. Die Beschreibung ist nicht appetitlich.“
Während Blue sich weiter die Karte ansah, schaute ich auf die Türschilder der Häuser, vor denen wir gerade standen. Namejak, Wordvik und Girlja. Waren auf die Schilder geschrieben. Das hörte sich ganz nach Platzhaltern für slavische Namen an. Auf dem Nachbarhaus waren Nachbarkles und Onkelpus verzeichnet und ich musste grinsen. Entweder hatte sich da gerade jemand einen fiesen Scherz erlaubt, oder ein Autor hatte keine Ahnung von nicht-deutschen Namen gehabt.
Auf dem Weg zur Sportveranstaltung passierten wir auch den Trotzdom, oder den Dom des Trotzes? In einem vorherigen Jahrhundert war es wohl Brauch gewesen trotzige Kinder hier einzusperren und erst wieder herauszulassen, wenn sie ihre Fehler eingesehen hatten. Ich hoffte mal das wurde nicht immer noch praktiziert.
Dank Blues Handy fanden wir den Weg. Wie sich herausstellte, fand das Spiel in etwas statt, das sich Fußballstudio nannte. Das Maskottchen wurde jedoch ungewollter Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Schon auf dem Wappen war zu sehen, dass es sich dabei um ein Schaf handelte, das Freundschaf zum Verwechseln ähnlich sah. Das war zwar nur ein Schaf, aber es war besser als das, was wir bisher hatten – das war nämlich gar keine Verwandtschaf.
Wir kamen gerade rechtzeitig, um noch Eintrittskarten zu bekommen. Die Gegner erkannte man sofort an den rot-blau gestreiften Trios, die sie trugen. Trios waren Kleidungsstücke, dreieckige Oberteile, die an den Schultern und am Hosenbund befestigt wurden, sowohl ein Teil vorne, als auch ein Teil hinten.
Soweit ich das bisher mitbekommen hatte, spielte man hier etwas, das Eishockey ähnlich war – bis auf die Tatsache, dass es „Einshockey“ genannt wurde. Das Wetter war nicht so toll. Es regnete und es war ein grauer Tag. Ein Glück, dass wir nicht mitspielen mussten. Schlammige Klamotten hatten wird gestern schon gehabt, dank Elsa.
Wie kamen auf unseren Plätzen an, gerade als der erste Gong geschlagen hatte. Die Spieler der beiden Mannschaften liefen aufs Feld. Besonders viel Applaus bekamen die beiden Starspieler. Bei einem handelte es sich um einen großgewachsenen, schlanken Blonden mit blonden Haaren, der offensichtlich Justin Blond hieß.
„Und wir haben einen fabelhaften Justin an Bord dieses Jahr. Bitte begrüßt ihn alle mit einem besonders lauten Applaus!“
Das Publikum rastete aus. Ich schaute nur in die Menge und hielt Ausschau nach einem Schaf.
„Als nächstes hätten wir Sylbester! Er ist einfach der Beste!“
Generell verursachte das Spiel bei mir vor allem ein lästiges Pfeifen in den Ohren. Wie man es wirklich spielte wusste ich nicht. Aber ein paar andere Dinge waren interessant. Als ich mich in der Pause dazu bereiterklärte Essen und Trinken zu organisieren, traf ich auf Niemand, der Jemand suchte. Leider konnte ich bei der Suche nicht helfen, aber allein der Vorfall war einer Erwähnung wert. Als ich Blue, Oma und Hannes davon erzählte,  glaubten sie mir einfach nicht.
Andere seltsame Vorkommnisse waren die Tore. Eine Frau lamentiere immer wieder über Davids Tor. Ein anderes Tor umfasste irgendwie ein Erdbeertor, bei der mehrere Erdbeeren ins Tor geschossen wurden und das aus irgendeinem Grund tatsächlich zählte. Nach der ersten Hälfte stand es zwei zu null für die Verschreiber, die Heimmanschaft. Wer die angeordnete Staatstreue nicht befolgte und keine Clubfarben trug, oder die Mannschaft hinreichend anfeuerte, wie wir, wurde kaum beachtet.
Was ich jedoch ebenfalls in der Pause erspähte, war das Schaf. Es hockte unten neben den Spielern auf der Reservebank, drehte in der Pause ein paar Runden um das Spielfeld und kehrte in der zweiten Hälfte auf die Bank zurück. Wenn wir es nach dem Spiel irgendwie schafften nach unten zu kommen…
Was uns dabei half war mal wieder der Zettel von Mr. Ian Woon. Einer der Sicherheitsmänner bestand zuerst darauf, dass wir Trampelpfand bezahlen müssten, doch nachdem er sich den Zettel angesehen hatte, wurde er auf einmal sehr kleinlaut. Er öffnete sofort die Türen – oder korrekter gesagt die Tore – nach unten auf den Rasen. Die Spieler waren bereits in der Kabine verschwunden und auch das Schaf war gerade dabei zu verschwinden.
„Hey! Warte mal! Hey, du!“, schrie Blue über das ganze Feld.
„Mäh, mäh, mäh!“, versuchte meine Oma dasselbe mit dem Schafübersetzungsgerät, das wir im Froschungslabor bekommen hatten und das wir bisher noch nicht hatten verwenden können.
Anscheinend funktioniert es jedoch, denn das Schaf blieb stehen und drehte sich mit großen Augen um. Zuerst landete sein Blick auf Freundschaf, dann nahm es nacheinander uns andere in Augenschein.
„Was wollt ihr?“, fragte es.
Ich hörte gleichzeitig das „Mäh“, das das Schaf wirklich von sich gab, aber auch die blecherne Übersetzung aus dem technischen Gerät. Es funktioniert tatsächlich! Dann war Freundschaf wohl wirklich ein Sonderfall.
„Wir würden gerne etwas mit dir besprechen“, fuhr meine Oma fort.
Vermutlich war es sowieso besser, wenn sie mit dem Schaf sprach und das nicht Blue überließ. Der hatte nicht wirklich diplomatisches Geschick. Das würde am ehesten noch auf Hannes zutreffen, doch der war immer noch ein wenig benommen von der Kopfnuss die er von den Wergen eingesteckt hatte.
„Beeilt euch. Die Mannschaft geht gleich feiern und ich will mit“, maulte das Schaf.
Es war erstaunlich wie ähnlich das Maskottchen und Freundschaf sich sahen. Die Schnauze von Freundschaf war vielleicht kleines bisschen kürzer und die Nase ein wenig breiter, aber ansonsten hätten sie Zwillinge sein können. Mindestens so sehr wie die Eye-Bros, die den Großen Roten Knopf des Verderbens bewacht hatten.
„Hast du schon mal vom Großen Roten Knopf des Verderbens gehört?“, fragte meine Oma.
„Ja, da gibt es momentan diesen Streik und das riesige Problem wer ihn jetzt bewachsen soll. Ich bin ein Schaf, nicht blöd.“
Abgesehen vom Aussehen, beschloss ich, hatten Freundschaf und das Maskottchen allerdings nicht viel gemeinsam. Freundschaf war viel netter, auch wenn es nicht sprechen konnte. Man konnte es daran sehen wie es sich verhielt, daran, wie es mit anderen Menschen, Tieren und Kreaturen umgeht. Das Maskottchen war ein arrogantes Mistvieh.
„Freundschaf hier ist immun. Und weil wir vermuten, dass es sich bei der Immunität um etwas handelt, das genetisch vererbt werden kann, suchen wir Verwandtschaf von Freundschaf. Trifft das zufällig auf dich zu? Und wenn ja, würdest du dich eventuell bereiterklären den Großen Roten Knopf des Verderbens zusammen mit Freundschaf zu bewachen, bis die Wachen ihren Streik aufgeben?“ Es war sehr seltsam meine Oma nur in Mählauten sprechen zu hören.
Das Maskottchen legte den Kopf schief und funkelte uns wütend an. „Sag mal spinnt ihr? Ich habe hier einen Job. Ich habe hier meine Mannschaft, die ich unterstützen muss. Ich kann keinen zweiten Job am anderen Ende vom NaNo-Land annehmen“, blökte es.
„Aber es ist wirklich wichtig!“, unterbrach Blue es. „Wenn wir niemanden finden, könnten alle Geschichten des NaNo-Landes gelöscht werden! Alle Geschichten, die während des letzten Novembers geschrieben wurden, würden aufhören zu existieren. Macht dir das denn gar nichts aus?“
„Nicht wirklich. Falls du es noch nicht bemerkt hast, ich bin ein Schaf. Ich schreibe keine Geschichten.“
„Aber deine Teamkameraden schreiben doch“, versuchte Oma es mit Logik zu überzeugen. „Wenn sie keine Wrimos wären, wären sie nicht hier. Oder sie sind Charaktere. Noch ist nicht sicher, ob die Charaktere zusammen mit den Geschichten verschwinden, in denen sie auftauchen.“
Das war mir allerdings neu. Würde das dann bedeuten. Stephs Geschichte würde ebenfalls verschwinden? Und mit ihr zusammen wir? Diesen Aspekt des Problems hatte ich ja noch gar nicht in Erwägung gezogen. Jetzt mussten wir Freundschafs Verwandtschaf noch dringender finden.
„Selbst wenn ihre Geschichten verschwinden, was interessiert es mich? Dann schreiben sie sie eben nochmal.“
„Dann würden sie weniger Zeit fürs Training  haben“, versuchte Blue es erneut.
„Vergesst es. Mit solchen Mähthoden könnte ihr mich nicht überzeugen. Viel Glück noch weiter bei eurer Suche, aber lasst mich damit in Ruhe.“
Das Schaf drehte sich abrupt um und stolzierte mit schwingendem Hinterteil in die Umkleidekabine. Kurze Zeit später waren Jubelrufe zu hören, als das Schaf von seiner Mannschaft in Empfang genommen wurde und wir alleine auf dem weiten Rasenfeld zurückblieben.

3 Kommentare:

  1. Das Ende war ja mal ziemlich ernüchternd... aber dieses Spiel hätte ich gerne gesehen, schade das es die Sportart nicht wirklich gibt.

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  2. Sehr cool :-) und die bescheuerten Platzhalter-Namen hast du auch eingebaut. Aber das Schaf ist ja mal echt nicht nett...

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    1. Die Platzhalternamen fand ich immer schon klasse. Die mussten einfach rein, selbst wenn es nicht Verschreiber per se sind.
      Nee, das Schaf war nicht nett. Ich kann es meinen Charas doch nicht allzu einfach machen. Und es gibt eben nur ein wahres Freundschaf. ;)

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