Donnerstag, 12. November 2015

12. Kapitel



Wir wurden gekidnapped, auf der Welle von Wergen getragen. Was genau waren die eigentlich? Wer-Zwerge mit einem Klempnerbedarfs-Fetisch? Uns hatten sie jedenfalls vollkommen überrumpelt.
Die Strecke, die die Werge uns trugen, war fast ein eigener Weg. In regelmäßigen Abständen waren Werge aufgestellt, die den Pfad markierten, den ihre Artgenossen nehmen mussten. Blues Kopf war direkt neben mir. Er versuchte, genau wie ich, sich dem Griff der Werge zu entwinden, doch den Kampf hatten wir bereits verloren.
„Was machen wir denn jetzt?“, flüsterte ich ihm zu.
„Die haben mein Schwert“, zischte er zurück. „Deinen Bogen auch, oder?“
„Ja.“
Den hatten sie mir abgenommen sobald sie mich zu Boden gerissen hatten. Allerdings hatten sie meine Phoenixfeder übersehen, die unsere einzige Chance darzustellen schien. Anscheinend hatte keiner der Werge die magisch erzeugte Käsereibe in Frage gestellt, die ich ihnen entgegengeschleudert hatte.
So in ihr Gespräch vertieft bemerkte keiner von uns beiden, dass die Werge nicht mehr auf dem vorgestehenen Werg waren, sondern in eine kleine Seitengasse eingebogen waren. Diese war nicht mehr von Wergen gesäumt, doch weiter vorne konnte ich einen Lichtschimmer ausmachen, wenn ich meinen Kopf ein wenig drehte. Bevor wir uns versahen, waren wir ins Zentrum einer Lichtung geworfen worden. Blues Schwert, mein Bogen und Omas Regenschirm wurden ganz an den Rand der Lichtung geschafft und dort von einem weiteren Werg bewacht. Hannes hatte sich in meine Robbentasche retten können und war noch versteckt. Vielleicht würde sich das auch als Vorteil herausstellen. Freundschaf stand zitternd neben Oma, die sich mit ihrer verbliebenen Hand in sein weiches Fell krallte.
Die Werge traten raunend näher. Vielleicht hatten sie schon länger keine Menschen mehr gesehen, weil Roberot alle von ihnen ferngehalten hatte? Vielleicht waren wir auch nur die ersten, die dumm genug waren, sich fangen zu lassen. Typisch für uns wäre es jedenfalls, wenn ich mir die Situationen anschaute, in die wir uns vor einem Monat bereits manövriert hatten. Das hier erinnerte mich stark an die Schwertreiter. Vielleicht sollte ich es mit „Wir kommen in Frieden“ versuchen?
Das Flüstern der Werge wurde lauter und die Menge teilte sich, um größere Gestalten durchzulassen. Während die Werge nur etwa die Hälfte meines Unterschenkels einnahmen, waren diese Kreaturen genauso groß, oder sogar größer als ich.
„Das sind Werrölfe!“, flüsterte Blue plötzlich.
„Was zum Teufel sind Werrölfe?“
„Werrölfe, Plural von Werrolf. Das ist jemand, der sich zum Vollmond in einen Rolf verwandelt“, erklärte Blue.
In der Mitte der Lichtung brannte ein Feuer, das die Gestalten nun in helles Licht tauchte So konnte ich sie kaum von normalen Menschen unterscheiden. Sie waren vielleicht ein wenig behaarter als normal. War ein Werrolf eine bestimmte Form eines Werwolfs namens Rolf? Blues Erklärung hatte mich nur noch mehr verwirrt.
Der Werrolf, der vorgetreten war, sah ein wenig anders aus als die anderen. Auf seiner Schulter saß ein kleiner Werg.
„Was machen wir mit ihnen, Bert?“, fragte der Werrolf und drehte seinen Kopf, um den Werg anzusehen.
Die ganze Szene war irgendwie surreal. Noch hatte ich die leise Hoffnung, dass sie uns vielleicht einfach gehen lassen würden. Dumm genug das vorzuschlagen war ich allerdings nicht. Sowas ging sowieso nie gut.
Der Werrolf kratzte sich den Bert auf seiner Schulter, der sich dafür bedankte. Ich sah Blue mit hochgezogenen Augenbrauen an, doch der sah genauso verwirrt aus wie ich.
Dann fiel mir die Lösung des Problems ein. Steph! Bisher hatten wir alle Situationen ganz gut meistern können, aber was sie sich bei dieser Szene gedacht hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ihren Namen herausschreien wollte ich nicht, aber wenn sie wirklich unsere Autorin war, wusste sie doch sowieso was ich dachte. Oder? Oder?
Steph! Mach was! Irgendwas! Diese Viecher sind gruselig und ich habe keine Ahnung was die wollen.
Einer der Werge war auf einmal vorgestehen. Er salutierte und eine Reihe weiterer Werrölfe mit Berts auf den Schultern betraten die Lichtung.
Verdammt, Steph. Das half überhaupt nicht weiter.
„Wir präsentieren unseren Eigenwerbund!“, sagte ein Werrolf an die versammelten Werge und Werrölfe gewandt. „Salutiert! Zeigt euren Bert!“
Die Duos befolgten die Anweisung prompt.
„Zum Wohl unserer Werwohlpopulation wurden diese Menschen gefangen, die in unser Gebiet eingedrungen sind und unsere Geschichten gelesen haben! Dafür steht die Todesstrafe!“
Okay es begann Sinn zu machen, aber nicht auf eine Weise, die mir gefiel. Wo war diese verdammte Autorin, wenn man sie mal brauchte?
Die Phoenixfeder um meinen Hals wurde wärmer, aber ich wusste nicht was für ein Zauber in dieser Situation nützlich sein könnte. Es waren einfach zu viele; die konnte ich nicht alle auf einmal ausschalten. Selbst sie zu blenden war keine gute Idee, denn ich konnte zwar mit Blue reden, aber meine Oma stand einfach zu weit weg, als dass ich sie erreichen konnte. Sie würde der Zauber auch erwischen und dann hatten wir das nächste Problem. Vielleicht konnte ich Hannes rüberschicken...
"Um die Eindringlinge zu stoppen, haben sich unsere tapferen Werbündeten, die Werge, auf den Werg gemacht.
Ein kleiner Werrolfwelpe tollte über die Lichtung und ich konnte nicht umhin zu bemerken wie flauschig er war. Irgendwie war der niedlich. Auch wenn sein Vater bestimmt einer von denen war, die uns gerade gegenüber standen.
„Heute ist die Nacht der Werwandlung, die Nacht in der wir verschmelzen und stärker sind als je zuvor!“
Ein paar kleinere Wesen huschten durch die Massen. Sie waren sogar noch winziger als die Werge.
„Gartenzwarge“, flüsterte Blue mir zu. „Das ist eine Unterart des Wergs, auch Gemeiner Gartenzwarg genannt.“
Super, und die Info half mir jetzt wie? Steph! Jetzt wäre gut! Ich versuchte Hannes in meiner Tasche anzustupsen, doch er rührte sich nicht.
Ein langgezogenes Heulen erklang irgendwo in der Nähe. Zuerst dachte ich, dass es ein Werrolf sein musste, doch ihre Reaktion war die Zähne zu fletschen und die Krieger, die sich zuvor im Zentrum um uns versammelt hatten, nach außen zu schicken und eine Verteidigungsposition einnehmen zu lassen. Aus dem Augenwinkel sah ich einen dunklen Schatten, der um die Lichtung herumschlich. Ein Werrolf folgte meinem Blick und stürzte sich unter lauten Kampfesschreien seines Berts, auf die Kreatur. Die Kämpfenden rollten auf die Lichtung und endlich konnten auch wir sehen von was genau die Versammlung angegriffen wurde. Nicht, dass es mir viel brachte, denn ich erkannte nicht, um was für ein Wesen es sich handelte.
„Das ist ein Walf, ein Riesenwolf. In der Regel sind die ganz besonders aggressiv. Die Wälfe leben in der Nähe der Werge und Werrölfe und sind mit ihnen verfeindet“, erklärte Blue.
Noch mehr Schatten waren aufgetaucht und die Werrölfe waren auf einmal nur noch damit beschäftigt die Attacke abzuwehren. Wie waren vollkommen vergessen. Oder beinahe vergessen, denn eine Werrölfin, die sich bisher am Rande der Lichtung gehalten hatte, war zu unseren Waffen gerannt und kehrte mit ihnen im Arm zu uns zurück. Niemand beachtete sie.
„Nehmt das hier und geht“, sagte sie.
„Aber…“, begann ich.
Sie knurrte und zeigte dabei spitze Zähne und auch Blue sah mich entgeistert an. „Aber… was? Das hier ist unsere Chance also setz dich verdammt nochmal in Bewegung und spar dir deinen Blödfug.“
„Du biest die Beste!", rief ich der Werrölfin noch zu, die sich zu einem spitzzähnigen Lächeln hinreißen ließ und dann den Werrolfwelpen gegen die Attacke eines Walfes verteidigte.
„Die schien ganz lieb und gar nicht biestig“, meinte ich. „Wir können sie noch nicht einfach dort alleine lassen.“
Blue, Freundschaf, Oma und ich rannten Seite an Seite im Wald entlang. Hannes war immer noch in meiner Tasche. Ich konnte ihn spüren, aber bisher hatte er sich noch nicht gemeldet. Ich konnte nur hoffen, dass die Werge ihn nicht zerquetscht hatten als sie mich getragen hatten; das wäre eine absolute Katastrophe.
„Die Walfe werden sie nicht lange aufhalten, aber lange genug, damit wir verschwingen können.“ Blue drehte sich gehetzt um und ich tat es ihm gleich, doch noch war hinter uns nichts zu sehen.
„Verschwingen? Wie Tarzan?“
Blue deutete nur auf die Ranken über unseren Köpfen. „Oder willst du durch das Kampfgetümmel laufen? Schau, da vorne sind auch welche.“
Wie mussten im Herzen des Werrolf- und Wargreiches gewesen sein und anscheinend waren die Außenposten ebenfalls in Kämpfe verstrickt. Im Hochklettern an Seilen war ich im Sportunterricht nie besonders gut gewesen, aber hier hatte ich auf die Schnelle auch keine andere Lösung parat.
„Oma, schaffst du das?“
„Ich weiß nicht... und was ist mit Freundschaf?“, fragte sie.
Ja, Blues Plan hatte definitiv Lücken. Wie gut, dass ich sie füllen konnte. Meine Phoenixfeder war schon die ganze Zeit über warm gewesen, als hätte sie nur darauf gewartet benutzt zu werden. Es war mir ein Leichtes Oma und Freundschaf mit einem Schwung Magie auszustatten. Freundschaf wurde so leicht, dass Oma es sich unter den Arm klemmen konnte und sie selbst bekam so einen Schubs in die Höhe, dass sie die Schlingpflanzen ohne Probleme erreichen konnte. Ich selbst sprang nach oben und bekam ebenfalls eine der Ranken zu fassen und ein Fluch neben mir bestätigte, dass auch Blue es geschafft hatte. Ich ließ die Magie so lange wirken, bis wir mit den Ranken über das Kampfgetümmel unter uns geschwungen waren. Danach nahmen wir unsere Beine in die Hand und rannten.
Hinter uns ertönte ein langgezogenes Heulen, das von mehreren Stimmen aufgegriffen wurde. Ich hatte keine Ahnung, ob es sich dabei um die Werrölfe, oder die Walfe handelte und es war mir auch egal. Was auch immer uns jagte würde uns nicht in die Klauen bekommen, dafür würde ich sorgen.
So liefen wir Seite an Seite durch den Wald, verfolgt von den jaulenden Stimmen und den Schatten, die durch unsere Fantasie erzeugt wurden. Hofften wir jedenfalls. Meine Oma war mittlerweile außer Atem und auch Freundschaf sah nicht so aus, als würde es noch viel länger durchhalten. Als sich von der Seite ein Schatten näherte, hatten wir also keine andere Wahl als stehen zu bleiben, Schwert, Bogen und Starb zu zücken und der Dinge zu harren, die da kamen. Dieses Mal achtete ich auch auf das Gebüsch, damit ich nicht noch einmal von Wergen überrannt wurde.
Der dunkle Umriss kam näher und es erklang erneut ein Heulen, nicht von der Gestalt, aber näher als es vorher gewesen war. Blue machte sich fertig zum Angreifen und auch ich hatte einen Pfeil eingespannt, da begann der Schatten zu sprechen.
„Schlangenpott und Mäusetod, was für ein Barsch! Wie um Hummels Willen seid ihr denn hier gelandet? Und was ist mit den Werrölfen los?“, fragte Roberot.
Vor lauter Erleichterung hätte ich fast angefangen zu weinen. Sofort ließ ich den Bogen sinken und beschwor eine Energiekugel herauf, die Roberot beleuchtete. Nur, um sicherzugehen, dass er es auch wirklich war.
„Mach das lieber wieder aus, oder sie kennen unsere Position“, murmelte Blue.
Was Kämpfen anging hatte er meistens Recht. Ich hatte gesehen, was ich sehen wollte und ließ das Licht wieder verschwinden.
„Ein Glück, dass ich euch wiedergefunden habe. Was habt ihr euch nur dabei gedacht so lange wegzubleiben?“, wetterte der Hüter des Legenden-Waldes. „Euch kann man ja wirklich keine Sekunde aus den Augen lassen. Nächstes Mal werde ich dafür sorgen, dass euch eine militärische Esskröte begleitet!“
„Was ist eine militärische Esskröte…?“, wollte ich von Blue wissen.
„Etwas, das sich nicht von Wergen entführen lassen würde!“, klarifizierte Roberot nur und ich beschloss, dass es für den Moment gesünder für mich war einfach den Mund zu halten. „Ich habe mir Sorgen um euch gemacht!“
Während seiner Tiraden führte er uns weiter durch den Wald, irgendeinen verschlungenen Weg entlang, den nur er erkennen konnte. Irgendwann bemerkte ich, dass wir wieder auf einem Weg waren (nicht auf einem Werg, glücklicherweise) und schon bald tauchte Roberots Hütte aus der Dunkelheit auf. Die erleuchteten Fenster waren eine wahre Augenweide für mich. Was mein Herz noch höher schlagen ließ, war das Essen, das im Wohnzimmer aufgetischt war.
„Immerhin seid ihr jetzt sicher“, seufzte Roberot, der sich anscheinend beruhigt hatte. „Aber versprecht mir euch nicht nochmal zu verspäten.“
„Wie hast du uns eigentlich gefunden?“, fragte Blue.
Ich achtete wenig auf die Unterhaltung, denn nun fischte ich endlich Hannes aus meiner Brusttasche. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Er dürfte nicht tot sein. Bloß nicht. Mein Atem beruhigte sich erst als ich sah, dass sich seine Brust leicht hob und senkte. Vorsichtshalber schickte ich ihm trotzdem einen Schuss Magie, für den Fall, dass er irgendwelche schwerwiegenden Verletzungen hatte, die ich nicht sehen konnte. Danach atmete er ein wenig regelmäßiger. Vermutlich war er in dem Chaos nur k.o. gegangen.
„Die Bäume haben es mir gesagt. Ein paar hier können sprechen…“
„Oh ja! Wir haben auch schon mal sprechende Bäume in diesem Wald getroffen, allerdings weiter südlich, näher an der Grenze zur Fantasy-Region. Die haben uns die Travelling Shovel of Death ausgehändigt“, erinnerte ich mich.
„Ja, von denen gibt es hier auch einige. Sie bilden eine Art Telefonkette durch den ganzen Legenden-Wald, die mich immer auf dem Laufenden hält was die Bewohner so treiben.“ Einem Kaminchen trennte Roberot während seiner Erklärungen geschickt das Fell vom Fleisch.
„Was genau ist das?“, fragte ich und deutete auf das Kaminchen.
„Ein kleines Kaminchen natürlich. Sehr schmackhaft, das kannst du mir glauben.“
Das musste ich wohl unbesehen tun. Bisher hatte Roberot uns jedenfalls keinen Anlass gegeben ihm zu misstrauen und als er uns anbot, dass wir die Nacht bei ihm verbringen könnten, nahmen wir alle dankend an.

3 Kommentare:

  1. Ich muss gerade grinsen wenn ich mir vorstelle alle Werwölfe in meinem jetzigen Roman durch Werrölfe zu ersetzen, allerdings ist mir der Fehler tatsächlich noch nie untergekommen... und ich muss ja echt sagen, es hat seine Vorteile für die Gruppe die Autorin zu kennen.

    Hurray, die militärische Esskröte... ich bin froh, das sie dir gute Dienste geleistet hat.

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    1. Vergiss nicht: Es müssen Werrölfe mit Berts auf ihren Schultern sein! xD

      Naja, gute Dienste... meine Charas haben nie wirklich rausgefunden was das ist. Ich vermute mal es wäre sowas wie ein bewaffneter Hannes...

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    2. Dieses Bild bekomme ich nicht mehr aus meinem Kopf raus... umso witziger wenn man bedenkt das mein Vater so heißt.

      Hannes bis an die Zähne bewaffnet... welche Zähne wäre dann die nächste Frage.

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